Freitag, 24. Dezember 2010

Frohes Fest



Nicht was ihr denkt, das aber gerne auch. Doch nun zum Thema: In den vergangenen anderthalb Wochen berichtete ich für die junge Welt aus Tshwane von den Weltjugendfestspielen. Ja, die gibt es noch. In etlichen sozialistischen Ländern wie beispielsweise Venezuela oder Kuba und auch in manchen Ländern, die gern mit sozialistischer Rhetorik kokettieren, wie beispielsweise Südafrika, sind die Weltjugendfestspiele sogar wieder zu ziemlich großer Bedeutung angestiegen.

Für den Weltfrieden, gegen das Imperium!

Nun war – die südafrikanische Presse beschränkte sich in ihrer Berichterstattung nahezu völlig auf diesen Aspekt – bei dieser Veranstaltung nicht immer alles ganz bis ins Detail organisiert. Oder anders ausgedrückt: Die ANC-Jugendliga hat vor geraumer Zeit die ehemals unabhängige, staatliche Jugendentwicklungsagentur NYDA übernommen. Das war insofern praktisch, als dass es bei der NYDA dutzende gut dotierte Jobs gibt, in denen man eigentlich überhaupt nichts machen muss. Außer Sonntagsreden erwartet von diesen Stellen hierzulande sowieso niemand irgendetwas. Besagte NYDA übernahm nun die Organisation der Weltjugendfestspiele, federführend dabei war unter anderem einer ihrer Vorstände, Andile Lungisa, der ansonsten auch als Vize-Präsident der ANC-Jugend fungiert. Ich habe ihn am vierten Konferenztag auch zufällig getroffen, als er mich nach dem Eingang zum Medienzentrum gefragt hat. Man weiß, was man tut…

War besser organisiert: Nordkoreanische Delegation

Die engagierten Organisatoren schafften es, die ersten vier Festivaltage zu mehr als fünfzig Prozent dem eigenen Organisationschaos zu opfern, sie vollbrachten es außerdem, tausende Delegierte tagelang ohne regelmäßiges Essen zu lassen (wenn denn mal eine Lieferung ankam, sicherten Wachleute mit Maschinenpistolen die Ausgabe, damit die lechzende Meute nicht zum Sturm ansetzte) und internationale Delegationen bis zu dreimal die Unterkunft wechseln zu lassen, weil die Planung schlicht non-existent war. Da fällt es schon fast nicht mehr ins Gewicht, dass auch die Shuttle-Busse anfangs oft Stunden zu spät kamen, die Akkreditierungsliste unauffindbar war und Rednerinnen wie Winnie Mandela nicht erschienen, weil niemand sie rechtzeitig eingeladen hatte.

Südafrikanische Demonstranten auf der Abschlusskundgebung


Thematisch wäre vielleicht noch zu erwähnen, dass Seminare wie „Wohnraum als Menschenrecht“ oder „Die Rolle junger Menschen im Kampf gegen Analphabetismus“ komplett ausfielen und Diskussionsrunden über freie Bildung und solidarische Krankenversicherungsmodelle – die angeblich soweit oben auf der ANC-Agenda stehen – ohne Südafrikaner im Podium auskamen. Wenn zu dieser Unfähigkeit gut verdienender Polit-Kader dann noch immer wieder das Freiheitslied über Solomon Mahlangu erklingt, dessen Leben 1979 mit 23 Jahren am Galgen des Apartheid-Regimes endete, weil er für die Gleichberechtigung aller Menschen in seinem Land kämpfen wollte, dann hinterlässt das schon ein sehr unwohles Gefühl in der Magengegend. Zur Ehrrettung der Veranstaltung sei allerdings noch erwähnt, dass die zweite Festspiel-Hälfte wesentlich runder lief, die Seminare teilweise sehr interessant und informativ waren und die informellen Kontakte zwischen den Jugenddelegationen, die sich so global vernetzen, sowieso das wichtigste an einem solchen Festival.

Global beliebter Lebensmittelkonzern wirbt vor antiimperialistischer Kulisse.

Außerdem will ich ja nicht nur Leid und Übel beklagen, denn nun wendet sich die Geschichte und ein bezauberndes Märchen beginnt:

Eines Abends trug es sich zu, dass eine Gruppe südafrikanischer Delegierter das Medienzentrum stürmte. Die Männer und Frauen gaben an, ihre Führung zu suchen. Die ließ natürlich nur höchst selten dazu herab, sich mit dem Fußvolk zu vermischen und war auch an diesem Abend abwesend. Man muss ja schließlich nicht gleich in Aktionismus verfallen, nur weil man 12000 internationale Gäste eingeladen hat, die gern mehr über die politische Lage des eigenen Landes wissen wollen. Das haben sie auf diese Art und Weise ja schließlich auch selbst bestens herausgefunden. Auf die Frage, was sie denn so auf die Palme brächte, erklärten nun also einige der so aufgebrachten Menschen, dass sie seit Ewigkeiten nichts zu essen bekommen hätten und außerdem die Busse, die sie zu ihrer Unterkunft bringen sollten, nicht aufzufinden sein. Das klang realistisch. Aber es war leider komplett falsch, wie bei der Pressekonferenz am Tag darauf zu erfahren war. Die Jugendlichen seien von der Konferenz so aufgeputscht gewesen, dass sie den Imperialismus gleich hier und jetzt besiegen wollten. Daher der Sturm. Auch das leuchtete mir ein, obwohl es natürlich schade ist, dass die eigentlich beteiligten anscheinend gar nicht wussten, was sie taten. Die Frage ist nur, ob die Jugendliga-Oberen sich bewusst sind, in welcher Rolle sie bei diesem Spiel wären. Halleluja!

Enthusiasmus pur auf der Abschlusskundgebung

Dienstag, 7. Dezember 2010

Von Roten Römern, Soldaten und Warzenschweinrücken

Soso, leicht verspätet nun auch die offizielle Verlautbarung. Ich bin zurück. Zurück in Südafrika und damit auch zurück im Sommer. Diese Nachricht ist allerdings hochgradig unspektakulär, zumal ich hier seitdem – mit Ausnahme eines fiesen Plus‘ an Arbeit – im Wesentlichen nichts anderes gemacht habe, als im Deutschland-Urlaub: Steinpilze sammeln und Angeln.



In Wirklichkeit ist dieser ganze Mythos des freien Korrespondenten ja auch nur vorgeschoben, um meine obsessive Steinpilzsucht über die europäische Saison hinaus zu befriedigen. Der Plan ging nun auf der Südhalbkugel erstmals auf und zwar in einem malerischen Bergdorf mit dem noch malerischeren Namen Hogsback – was übersetzt so viel wie „Warzenschweinrücken“ heißt.

Meine Oma hatte Angst, dass ich ob der Entdeckung hiesiger Steinpilzvorkommen nun gar nicht mehr nach Deutschland käme. In Anbetracht dieser Tagesausbeute sollte sie beruhigt sein...

Pilze sammeln in Südafrika ist allerdings mit anderen Hürden verbunden als in Deutschland. Zwar läuft man in den hiesigen Kiefernplantagen seltener Gefahr von Hundertschaften Cross-Rallye fahrender Jäger über den Haufen gefahren zu werden und auch die fiese Pilzmade hat die Migration gen Süden wohl nicht mitgemacht, doch dafür bevölkern größere Pavian-Gruppen die Wälder und laben sich an den Steinpilz-Stielen. Die Kappen überlassen sie dann der sommerlichen Hitze, auf dass sie schaurig am Waldboden vergammeln. Ein tragisches Bild, an den beiden Tagen auf dem Warzenschweinrücken war ich allerdings oft genug vor den Affen da, sodass es letztendlich für eine ordentliche Portion Steinpilznudeln reichte.

Um meine Diät etwas eiweißreicher zu gestalten, ließ ich mich dann noch vom guten Skipper Jerry in die Geheimnisse des südafrikanischen Hochseeangelns einweihen. Weil Fischer-Kollege Ansgar mehr mit Fische anfüttern beschäftigt war, fanden Beres und ich in Jerry einen hervorragenden Ersatz-Partner für die Aufgabe, die obligatorische Flasche Old Brown Sherry zu leeren. Sonst beißen die Fische nämlich nicht. Das Angeln an sich ist relativ simpel: Man hängt halbe Sardinen an riesigen Haken unter Zuhilfenahme massiver Grundbleie 30 bis 50 Meter in die Tiefe des Indischen Ozeans, wo eine bunte Runde mir bisher größtenteils vollkommen unbekannter Fischarten sich daran macht, den Köder zupfend zu entwenden. Manchmal bleiben sie dabei hängen, was ein Ruckeln an der knüppelgleichen Pilk-Rute in der Hand des Fischenden auslöst.


Profis!


Frag mich keiner, wie das Tier heißt. Es schmeckt jedenfalls gut.

Schwierig wird es erst, wenn der Fisch an Bord ist. Denn ob Roter Römer, Grünäugiger Hai, Daggarad oder Soldat: Die meisten kurios getauften Tiefseegeschöpfe haben irgendwelche fiesen Stacheln oder Giftdrüsen. Jerry konnte das allerdings nicht aus der Ruhe bringen und so gingen wir mit einer Kühltruhe voll Fisch die Heimreise an. Trotz der absolut unspaghettimonsterlichen Abfahrtszeit um 5.30 Uhr schreit dieser Trip nach Wiederholung. Zumal wir angeblich noch viel tollere Fischarten mit mir größtenteils entfallenen Namen verpasst haben. Ich gelobe unterdessen auch wiederholte Aktivität an dieser Stelle.


Hai and bye!

Freitag, 8. Oktober 2010

So fern und doch so nah



Es gibt in meinem Leben immer mal Dinge, die mir sehr gut gefallen, die ich aber nur schwer beschreiben kann - geschweige dann mitnehmen. Eine solcher scheinbar untransportablen Wohlfühlgeschichten habe ich neulich gefunden. Ganz unvorbereitet in einer Berliner Dusche: Den Geist von Kapstadt.

Wer ihn riechen, fühlen oder sogar auf der nackten Haut spüren möchte, der kann ihn kaufen. Wem es allerdings reicht, die Kapstädter Lebensart einmal aus der Beobachterperspektive zu sehen, der findet sie hier.

Ich war hin und weg, dann allerdings auch kurz verwirrt. Denn ich dachte bisher immer, der Geist von Kaapstad sei das hier.

Montag, 27. September 2010

Kontrapunkte gegen die graue Suppe



Dass an dieser Stelle schon seit längerer Zeit Funkstille herrschte, liegt vornehmlich daran, dass ich nach Deutschland entschwebt bin. Übrigens mit einem kleinen kostensparenden Umweg über Dubai, wo ich der im Namen versteckten Aufforderung nachkam: I did buy. Mit tollen mittel-östlichen Souvenirs und nachgeordnet auch schierer Anwesenheit konnte ich dann bei meiner Familie punkten, doch wenn ich jetzt das Taschentuch vor der Nase wegnehme und aus dem Fenster schaue, schwant mir, dass der Trip keine ausschließlich weise Entscheidung war.

Ich will aber keineswegs jammern, denn die Tage und Wochen bisher waren wunderbar und es hat ja auch einiges für sich, von seinen Freunden mal wieder mehr als den Facebook-Account zu sehen. Momentan ist mir trotzdem das Gemüt nach einem kräftigen Kontrapunkt gegen die deutsche Witterungsrealität und was böte sich da mehr an, den Reisebericht aus Botsuana endlich einmal nachzureichen. Dort in der trockenen Dornstrauchsavanne haben wir die erste Wolke, die uns nach knapp zwei Wochen begegnete, noch freudig überrascht fotografiert.


Rechts neben dem Sonnenstrahl, knapp über den Bäumchen...


Nur zum Wolkensuchen waren wir allerdings gar nicht da. Es ging eher um Menschen und um Wildnis. Die San sind so ein Beispiel, die zwar kulturhistorisch als die erste Volksgruppe auf dem Gebiet des heutigen Botsuana betrachtet werden, inzwischen aber als Minderheit an den gesellschaftlichen Rand gedrängt ein eher bitteres Dasein fristen. Nun sind – wer hätte es gedacht – auch nicht alle San gleich. Über die, die wir trafen, behauptete eine Broschüre, dass sie auf dem weitläufigen Stück Savanne namens Dqae Qare, das sie ihr Eigen nennen, noch ihrer traditionellen Lebensweise nachgehen können. Elsie, die sympathische, junge Frau, die in dem kleinen Ressort Managerin ist, gibt allerdings offen zu, dass das gar nicht möglich wäre, weil sie das Land nur bekamen, um ein Tourismus-Projekt aufzubauen. Niemand darf hier jagen, wie es die Vorväter taten, niemand sammelt hier noch Beeren und Wurzeln, weil Medizin Tablettenform hat und Essen aus Supermärkten kommt, und kein San lebt in den für die Touristen mit stabilen Holzbetten eingerichteten Grashütten. Trotzdem ist diese kleine Tourismus-Farm ein Hoffnungsschimmer. Die San-Gemeinschaft des nächsten Ortes kann sie selbst verwalten, sich ein Einkommen schaffen und ist nicht gezwungen, sich als billige Arbeitskräfte den Nachfahren der Land-„Besitzer“ anzudienen, die ihnen vor vier, fünf Generationen die Lebensgrundlage raubten. Trotzdem: Kultur und Lebensart der San verblassen so immer weiter. Das bemängelt auch Elsie, aber was solle sie denn machen, es gäbe keine andere Möglichkeit. Die San, die die andere Möglichkeit weiter suchen und sich weigern, ihr Leben im Zentral-Kalahari Nationalpark aufzugeben, der übrigens einst auch ausdrücklich zu ihrem Schutz angelegt worden war, werden von der Zentralregierung in Gaborone gegängelt, schikaniert und nach und nach vertrieben. Ihr nomadisierender Lebensstil wird als rückständig und unzivilisiert beleidigt, die San sollen gezwungen werden, nach den Normen der „Moderne“ zu leben. Man fragt sich, warum eine Regierung sich so viel Stress macht mit ein paar Nomaden, in dieser extrem dünn besiedelten, scheinbar endlosen Weite der Kalahari. Angeblich lagern Diamanten unter dem sandigen Wüstenboden.

Ein paar hundert Kilometer nördlich, im Okavango-Delta, sind solche Probleme unbekannt. Hier hat sich eine Gruppe von Einbaum-Boot-Fahrern zusammengeschlossen, um Touristen das Delta zu zeigen. Sie leiden ein wenig unter der Globalen Finanzkrise, weil deshalb in diesem Jahr weniger Urlauber kamen, erzählt unser Guide, in dessen Dorf Seronga es nur zwei kleine Lädchen, eine Bar und eine Fleischerei gibt, die allerdings während unseres Aufenthalts gerade nicht über Fleisch verfügte. Das lag allerdings nicht an den Lehman Brothers, sondern eher an mangelnder lokaler Nachfrage. Wirklich schlimm hat die Krise Seronga auch gar nicht erwischt, denn wer selbst Vieh hält, seine Maisfelder erfolgreich gegen die Elefanten verteidigt und dazu noch weiß, wie Wasserlilien und Termiten zubereitet und konserviert werden, den haut so schnell nichts um. Selbst die Fische in der Region lassen sich von kühnen Europäern nicht überlisten, wie ich ernüchtert feststellen musste, allerdings hatten sie auch unlautere Hilfe von machohaften Flusspferden, die permanent ihren Revieranspruch über meine Angelplätze untermauern mussten. Um es kurz zu machen: Ich glaube, ich habe es noch nie geschafft, dem Alltag so elegant und allumfassend zu entfliehen, wie in der endlosen Ruhe des Deltas. Trotz der gefühlt 40-köpfigen Gruppe Spanier, die mitten in der Nacht mit ihrem Viva Espana doch lauter waren als die blökenden Flusspferde. Aber dass man vor den Absurditäten der globalisierten Welt auch auf einer unbesiedelten, mit Elefanten-Kot übersäten Insel im Okavango-Delta nicht sicher ist, hatten wir von unserem Bootsmann ja schon aus dessen Erfahrungen mit der Krise gelernt...






























PS: Zu dem Tourismus-Projekt im Okavango-Delta schrieb ich bei ZEIT Online.
PPS: Passt gar nicht rein, aber ebenfalls bei ZEIT Online findet sich auch noch ein Artikel über einen deutschen Lehrer in Kapstadt, den ich bisher unterschlagen hatte.

Montag, 19. Juli 2010

Der Traum von einer besseren Welt

Gestern war in Südafrika Mandela-Day, den die UNO jetzt ja sogar international ausgerufen hat. Zum 92. Geburtstag Nelson Mandelas sollte jeder 67 Minuten seiner Zeit spendieren, um etwas Gutes zu tun. Und so wurden für einen Tag Altenheime mit Gutmenschen überflutet und all die vergessenen Menschen des Landes saugten soviel Tee und Aufmerksamkeit in sich herein, wie sonst in einem ganzen Jahr nicht.

Ich habe eine alte Frau im Rollstuhl vor mir über die Straße gelassen. Das ging zwar wesentlich schneller, aber ich muss auch zugeben, dass ich solche Ereignisse kollektiven Moral-Reinwaschens auch nicht für besonders sinnvoll halte. Das hat etwas vom weihnachtlichen Kirchgang. Die Zahl 67 ist ebenso fragwürdig. Der Grund ist nämlich, dass Mandela 67 Jahre seines Lebens darauf verwendet habe, die Welt besser zu machen. Die Kampagne gab es aber schon letztes Jahr, mit der gleichen Zahl an Jahren, angefangen 1942 mit Mandelas erster Menschenrechtskampagne. Hieße also, der alte Herr habe im vergangenen Jahr nichts gemacht. Dabei hat Mandela doch auch kürzlich zumindest die Party der FIFA besser gemacht, einfach durch seine Anwesenheit. Dass er dazu laut Vorwürfen seines Enkels von der Blatter-Mafia gezwungen worden war, wollen wir hier mal nicht weiter erwähnen.

Der Jubel, den Mandela auslöste, indem er vorm WM-Finale in die Menge winkte, zeigte dann auch der ganzen Welt, wie sehr die Südafrikaner ihren Befreiungshelden noch immer anhimmeln. Das Bild ist nicht falsch, aber auch nicht vollständig. Leute, wie der Mittvierziger den ich Anfang März in Orange Farm, einem der ärmsten Townships bei Johannesburg traf, wo seit dem Ende der Apartheid noch nicht einmal fließend Wasser oder eine Kanalisation verlegt worden ist, waren nämlich mutmaßlich nicht im Stadion. Sie konnten Mandela also nicht zuwinken, weil der Eintritt dazu ein paar Monatsgehälter gekostet hätte – wenn sie nicht Mitte der Neunziger eh entlassen worden und seitdem arbeitslos wären. „Mandela hat uns verraten“, sagte der Mann recht bitter. Er sammelt heute Müll, um ihn zu recyclen und sich so über Wasser zu halten. (Die ganze Geschichte hatte ich zwar damals schon einmal verlinkt, aber wer mag, hier geht’s lang.) Der Grund für seine markigen Worte ist das neoliberale Wachstumsprogramm GEAR, das 1996 unter dem Präsidenten Mandela eingeführt wurde, von Wirtschaft und Weltbank viel Lob bekam und mehrere Millionen Arbeitsplätze vernichtete. Mit der Wirtschaft ist damals allerdings auch die Wut vieler Menschen gewachsen, nicht nur in Orange Farm.

Die Sache Mandela allein anzuhängen, wäre aber sicherlich falsch, denn erstens war er bei den wichtigen Verhandlungen über die Metamorphose des Apartheid-Staates noch inhaftiert und dann stellt sich in Südafrika auch immer noch die Frage wer und warum eigentlich ausschlaggebend für das Ende der Apartheid war – und was diese Kräfte dafür haben wollten. Es ist schlicht naiv, zu glauben, Mandela hätte 1996 einfach mal eben sein eigenes Ding durchziehen können, die Freiheits-Charta eins zu eins umsetzen und den modernen Sozialismus implementieren, der sich aus diesem Kern-Dokument des ANC an vielen Stellen erschließt. Das Land und deren Schätze sollen allen Menschen gehören, die auf ihm leben… Nun, die Menschen in Walmer Township leben zu großen Teilen auf einer ehemaligen Müllhalde, aber wir wollen ja nicht zynisch werden.

Mandela nun auf die gescheiterte Armutsbekämpfungen und die gescheiterte soziale Revolution nach der gelungenen anti-rassistischen zu reduzieren, würde diesem großen Mann einfach nicht gerecht werden. Er hat großes vollbracht, sein Leben in den Dienst des Anti-Rassismus gestellt und während der Transitionsphase den Frieden erhalten. Wie Südafrikas Zukunft nun gestaltet wird, kann nicht mehr Mandelas Aufgabe sein, anlässlich seines Geburtstags habe ich mich mit dieser Frage aber auseinander gesetzt. Hier mein Artikel dazu, erschienen gestern im Weser Kurier:

Hoffnung zu Mandelas Geburtstag


Die WM hinterlässt in Südafrika viele Schulden aber auch ein neues Nationalgefühl

Der lauteste Jubel-Sturm brach im Soccer-City-Stadion von Johannesburg am vergangenen Sonntag schon vorm Anpfiff des Fußball-Weltmeisterschafts-Finales aus. „Madiba, Madiba“ erschallte in Sprechchören als Nelson Rolihlahla Mandela in einem offenen Golfwagen eine Runde durch das Stadion drehte und den knapp 85000 Zuschauern zuwinkte. Was wohl kaum einer derer, die den Clan-Namen Mandelas riefen, wusste: Der Mann, der für die Befreiung Südafrikas vom Rassismus 27 Jahre im Gefängnis saß, war nicht ganz freiwillig da. Das behauptet zumindest sein Enkel Mandla Mandela, der dem Weltfußballverband FIFA vorwirft, großen Druck auf seinen Großvater ausgeübt zu haben. Im Vorfeld hatte es Bedenken gegeben, der Auftritt könnte zu anstrengend sein für den alten Mann. Das Spiel verfolgte Mandela dann auch tatsächlich lieber vor dem heimischen Fernseher in Soweto. Dort, im Kreise seiner Familie und etlicher Kinder aus seinem Heimatdorf Qunu feiert er heute auch seinen 92. Geburtstag. Den Mandela-Day, den selbst die UNO erstmals für den 18. Juli international ausgerufen hat, begeht Südafrika fast wie einen Feiertag.

Der Jubel und die Begeisterung für Mandela zeigen, welche Bedeutung der Vater der Nation für Südafrika noch hat und wie sehr sich die Menschen nach seinen rar gewordenen öffentlichen Auftritten sehnen. Die Liebe für den Ex-Präsidenten weist aber auch auf die Unzufriedenheit der Südafrikaner mit der aktuellen Regierung hin, die immerhin die erfolgreiche Weltmeisterschaft organisiert hat. Die vierwöchige Fußball-Party hat am Kap viele Probleme in den Hintergrund gedrängt, lösen konnte sie sie aber freilich nicht. Nun stellt sich – ausgerechnet zu Mandelas Geburtstag – die Frage, was bleibt von dieser WM.

Pravin Gordhan hatte darauf bereits eine Antwort. Gordhan ist südafrikanischer Finanzminister, kein Mann vom Glanze eines Mandelas aber als kühler und solider Zahlen-Experte geschätzt. Um 0,4 Prozent werde die WM das Bruttoinlandsprodukt anheben, rechnet Gordhan vor, abschließende Zahlen hat er aber noch nicht, weil noch Daten aus den Provinzen fehlen.

So banal lassen sich die WM-Auswirkungen aber sowieso nicht beschreiben. Südafrika hat in der globalen Finanzkrise ungefähr eine Million Arbeitsplätze verloren und etliche davon durch die WM-Investitionen wieder auffangen können. Präsident Jacob Zuma wird nicht müde, diesen Fakt zu erwähnen, unterschlägt dabei aber geflissentlich, dass das Gros der Jobs lediglich temporär war. Sobald die Straßen und Stadien fertig waren, mussten auch die Arbeiter gehen. Dieses Spiel von Licht und Schatten zieht sich durch die WM-Bewertung wie ein roter Faden, zu fast jeder positiven Nachricht lässt sich ein Kritikpunkt finden. Viele der monumentalen Stadien beispielsweise – entgegen weitverbreiteter pessimistischer Annahmen lange vor der WM vollendet – drohen zu „Weißen Elefanten“, also Großinvestitionen ohne Nutzen, zu werden. Selbst die ausgebaute Infrastruktur – Straßen, Zuglinien, Flughäfen und Telekommunikationseinrichtungen, die selbstverständlich weit über den finalen Schlusspfiff gebraucht werden – wird den Armen im Lande nichts bringen, weil sie sie nicht nutzen können.

Trotzdem: Mit der erfolgreichen WM-Organisation und –Durchführung hat Südafrika das globale Afrika-Bild verbessert, bei potentiellen Investoren eine eindrucksvolle Bewerbung hinterlegt und wenn man einer kleinen Umfrage des Tourismusministeriums des Western Capes am Kapstädter Flughafen glauben darf, auch die Touristen überzeugt. 66 Prozent der befragten ausländischen Gäste gaben dort an, mit ihren Familien ans Kap zurückkommen zu wollen.

Wenn südafrikanische Medien die umgerechnet vier Milliarden Euro gegenrechnen, die die WM das Land gekostet hat, taucht neben den wirtschaftlichen Folgen aber auch immer das neue Nationalgefühl als wichtigstes WM-Ergebnis auf: Die Südafrikaner sind als Gesellschaft zusammengerückt. „Die WM war für uns eine Anlaufstelle, um zusammenzukommen und stolz zu sein“, beschreibt mit dem Soziologen Udesh Pillay vom Forschungszentrum für Sozialwissenschaften in Durban auch ein renommierter Kritiker der anfangs überschätzten WM-Erwartungen das neue Bewusstsein. Und in der Tat: Wer gesehen hat wie sich in Kneipen, Fan-Parks und im Stadion Menschen aller Hautfarben mit Freudentränen in den Armen lagen, als Siphiwe Tshabalala Südafrika im Eröffnungsspiel gegen Mexiko in Front schoss, weiß, dass die WM in Südafrika nicht nur in Heller und Pfennig bewertet werden kann.

Die Südafrikaner haben der Welt ein freundliches Gesicht der Einigkeit gezeigt und auch nach dem Ausscheiden der eigenen Bafana Bafana noch andere Mannschaften unterstützt. Ghana wurde als letzter afrikanischer Vertreter oft hervorgehoben, doch eigentlich waren gefühlt mindestens ebenso viele Fans in den Farben Englands oder Brasiliens geschminkt.

Umso verstörender waren die Nachrichten am Morgen nach dem Finale. Noch in Nacht des Endspiels hatten sich die Gerüchte von neuen fremdenfeindlichen Ausschreitungen bestätigt, in Kapstädter Townships gab es Überfälle auf afrikanische Ausländer. Polizei-Chef Bheki Cele sah dahinter gewöhnliche Kriminelle, die sich in den Geschäften der Ausländer bedienen wollten, und auch Präsident Zuma spielte das Thema zunächst herunter und rief lediglich dazu auf, die „kriminellen Elemente“ zu isolieren. Obwohl die Regierung einerseits mit der raschen Entsendung von starken Polizei- und Armeekräften Unruhen im Keim erstickte, hält sich die Rhetorik, dass es sich bei den neuerlichen Krawallen nur um selbst-erfüllende Gerüchte handele, beständig weiter.

Das mag im Einzelfall sogar stimmen, aber die Probleme liegen tiefer. Es ist die extrem hohe Arbeitslosigkeit und das Ausbleiben von lange versprochenen sozialen Leistungen, wie Kliniken, Wasser-, Strom- und Kanalisationsanschlüssen oder besserer Schulbildung in den Townships, die die Menschen immer wieder auf die Straße bringen. In manchen Fällen schlägt die Wut dann – Berichten zufolge auch von korrupten Lokal-Politikern gesteuert – auf die Einwanderer nieder. Geht es nach Sozialforscher Pillay müsste die Regierung hier – trotz leerer Kassen – die Dynamik der Weltmeisterschaft nutzen, um die lange versprochenen Verbesserungen der Lebensumstände in den Armenvierteln in die Tat umzusetzen. „Wir haben jetzt diese positive Stimmung im Land, wir haben jetzt den Stolz und das nationale Bewusstsein um diese Herausforderungen anzugehen“, sagt Pillay.

Die Südafrikaner haben während der WM gesehen, zu welchen Leistungen ihre Regierung im Stande sein kann, wenn sie nur will. Der Mandela-Day, so will es übrigens die UNO, soll Menschen weltweit dazu aufrufen, ihre Umwelt mit kleinen Taten ein klein wenig besser zu machen. Der heutige Tag dürfte am Kap daher nicht nur ein inoffizieller Feiertag sondern auch ein Tag der Hoffnung sein.

Der Traum von einer besseren Welt

Gestern war in Südafrika Mandela-Day, den die UNO jetzt ja sogar international ausgerufen hat. Zum 92. Geburtstag Nelson Mandelas sollte jeder 67 Minuten seiner Zeit spendieren, um etwas Gutes zu tun. Und so wurden für einen Tag Altenheime mit Gutmenschen überflutet und all die vergessenen Menschen des Landes saugten soviel Tee und Aufmerksamkeit in sich herein, wie sonst in einem ganzen Jahr nicht.

Ich habe eine alte Frau im Rollstuhl vor mir über die Straße gelassen. Das ging zwar wesentlich schneller, aber ich muss auch zugeben, dass ich solche Ereignisse kollektiven Moral-Reinwaschens auch nicht für besonders sinnvoll halte. Das hat etwas vom weihnachtlichen Kirchgang. Die Zahl 67 ist ebenso fragwürdig. Der Grund ist nämlich, dass Mandela 67 Jahre seines Lebens darauf verwendet habe, die Welt besser zu machen. Die Kampagne gab es aber schon letztes Jahr, mit der gleichen Zahl an Jahren, angefangen 1942 mit Mandelas erster Menschenrechtskampagne. Hieße also, der alte Herr habe im vergangenen Jahr nichts gemacht. Dabei hat Mandela doch auch kürzlich zumindest die Party der FIFA besser gemacht, einfach durch seine Anwesenheit. Dass er dazu laut Vorwürfen seines Enkels von der Blatter-Mafia gezwungen worden war, wollen wir hier mal nicht weiter erwähnen.

Der Jubel, den Mandela auslöste, indem er vorm WM-Finale in die Menge winkte, zeigte dann auch der ganzen Welt, wie sehr die Südafrikaner ihren Befreiungshelden noch immer anhimmeln. Das Bild ist nicht falsch, aber auch nicht vollständig. Leute, wie der Mittvierziger den ich Anfang März in Orange Farm, einem der ärmsten Townships bei Johannesburg traf, wo seit dem Ende der Apartheid noch nicht einmal fließend Wasser oder eine Kanalisation verlegt worden ist, waren nämlich mutmaßlich nicht im Stadion. Sie konnten Mandela also nicht zuwinken, weil der Eintritt dazu ein paar Monatsgehälter gekostet hätte – wenn sie nicht Mitte der Neunziger eh entlassen worden und seitdem arbeitslos wären. „Mandela hat uns verraten“, sagte der Mann recht bitter. Er sammelt heute Müll, um ihn zu recyclen und sich so über Wasser zu halten. (Die ganze Geschichte hatte ich zwar damals schon einmal verlinkt, aber wer mag, hier geht’s lang.) Der Grund für seine markigen Worte ist das neoliberale Wachstumsprogramm GEAR, das 1996 unter dem Präsidenten Mandela eingeführt wurde, von Wirtschaft und Weltbank viel Lob bekam und mehrere Millionen Arbeitsplätze vernichtete. Mit der Wirtschaft ist damals allerdings auch die Wut vieler Menschen gewachsen, nicht nur in Orange Farm.

Die Sache Mandela allein anzuhängen, wäre aber sicherlich falsch, denn erstens war er bei den wichtigen Verhandlungen über die Metamorphose des Apartheid-Staates noch inhaftiert und dann stellt sich in Südafrika auch immer noch die Frage wer und warum eigentlich ausschlaggebend für das Ende der Apartheid war – und was diese Kräfte dafür haben wollten. Es ist schlicht naiv, zu glauben, Mandela hätte 1996 einfach mal eben sein eigenes Ding durchziehen können, die Freiheits-Charta eins zu eins umsetzen und den modernen Sozialismus implementieren, der sich aus diesem Kern-Dokument des ANC an vielen Stellen erschließt. Das Land und deren Schätze sollen allen Menschen gehören, die auf ihm leben… Nun, die Menschen in Walmer Township leben zu großen Teilen auf einer ehemaligen Müllhalde, aber wir wollen ja nicht zynisch werden.

Mandela nun auf die gescheiterte Armutsbekämpfungen und die gescheiterte soziale Revolution nach der gelungenen anti-rassistischen zu reduzieren, würde diesem großen Mann einfach nicht gerecht werden. Er hat großes vollbracht, sein Leben in den Dienst des Anti-Rassismus gestellt und während der Transitionsphase den Frieden erhalten. Wie Südafrikas Zukunft nun gestaltet wird, kann nicht mehr Mandelas Aufgabe sein, anlässlich seines Geburtstags habe ich mich mit dieser Frage aber auseinander gesetzt. Hier mein Artikel dazu, erschienen gestern im Weser Kurier:

Hoffnung zu Mandelas Geburtstag


Die WM hinterlässt in Südafrika viele Schulden aber auch ein neues Nationalgefühl

Der lauteste Jubel-Sturm brach im Soccer-City-Stadion von Johannesburg am vergangenen Sonntag schon vorm Anpfiff des Fußball-Weltmeisterschafts-Finales aus. „Madiba, Madiba“ erschallte in Sprechchören als Nelson Rolihlahla Mandela in einem offenen Golfwagen eine Runde durch das Stadion drehte und den knapp 85000 Zuschauern zuwinkte. Was wohl kaum einer derer, die den Clan-Namen Mandelas riefen, wusste: Der Mann, der für die Befreiung Südafrikas vom Rassismus 27 Jahre im Gefängnis saß, war nicht ganz freiwillig da. Das behauptet zumindest sein Enkel Mandla Mandela, der dem Weltfußballverband FIFA vorwirft, großen Druck auf seinen Großvater ausgeübt zu haben. Im Vorfeld hatte es Bedenken gegeben, der Auftritt könnte zu anstrengend sein für den alten Mann. Das Spiel verfolgte Mandela dann auch tatsächlich lieber vor dem heimischen Fernseher in Soweto. Dort, im Kreise seiner Familie und etlicher Kinder aus seinem Heimatdorf Qunu feiert er heute auch seinen 92. Geburtstag. Den Mandela-Day, den selbst die UNO erstmals für den 18. Juli international ausgerufen hat, begeht Südafrika fast wie einen Feiertag.

Der Jubel und die Begeisterung für Mandela zeigen, welche Bedeutung der Vater der Nation für Südafrika noch hat und wie sehr sich die Menschen nach seinen rar gewordenen öffentlichen Auftritten sehnen. Die Liebe für den Ex-Präsidenten weist aber auch auf die Unzufriedenheit der Südafrikaner mit der aktuellen Regierung hin, die immerhin die erfolgreiche Weltmeisterschaft organisiert hat. Die vierwöchige Fußball-Party hat am Kap viele Probleme in den Hintergrund gedrängt, lösen konnte sie sie aber freilich nicht. Nun stellt sich – ausgerechnet zu Mandelas Geburtstag – die Frage, was bleibt von dieser WM.

Pravin Gordhan hatte darauf bereits eine Antwort. Gordhan ist südafrikanischer Finanzminister, kein Mann vom Glanze eines Mandelas aber als kühler und solider Zahlen-Experte geschätzt. Um 0,4 Prozent werde die WM das Bruttoinlandsprodukt anheben, rechnet Gordhan vor, abschließende Zahlen hat er aber noch nicht, weil noch Daten aus den Provinzen fehlen.

So banal lassen sich die WM-Auswirkungen aber sowieso nicht beschreiben. Südafrika hat in der globalen Finanzkrise ungefähr eine Million Arbeitsplätze verloren und etliche davon durch die WM-Investitionen wieder auffangen können. Präsident Jacob Zuma wird nicht müde, diesen Fakt zu erwähnen, unterschlägt dabei aber geflissentlich, dass das Gros der Jobs lediglich temporär war. Sobald die Straßen und Stadien fertig waren, mussten auch die Arbeiter gehen. Dieses Spiel von Licht und Schatten zieht sich durch die WM-Bewertung wie ein roter Faden, zu fast jeder positiven Nachricht lässt sich ein Kritikpunkt finden. Viele der monumentalen Stadien beispielsweise – entgegen weitverbreiteter pessimistischer Annahmen lange vor WM der vollendet – drohen zu „Weißen Elefanten“, also Großinvestitionen ohne Nutzen, zu werden. Selbst die ausgebaute Infrastruktur – Straßen, Zuglinien, Flughäfen und Telekommunikationseinrichtungen, die selbstverständlich weit über den finalen Schlusspfiff gebraucht werden – wird den Armen im Lande nichts bringen, weil sie sie nicht nutzen können.

Trotzdem: Mit der erfolgreichen WM-Organisation und –Durchführung hat Südafrika das globale Afrika-Bild verbessert, bei potentiellen Investoren eine eindrucksvolle Bewerbung hinterlegt und wenn man einer kleinen Umfrage des Tourismusministeriums des Western Capes am Kapstädter Flughafen glauben darf, auch die Touristen überzeugt. 66 Prozent der befragten ausländischen Gäste gaben dort an, mit ihren Familien ans Kap zurückkommen zu wollen.

Wenn südafrikanische Medien die umgerechnet vier Milliarden Euro gegenrechnen, die die WM das Land gekostet hat, taucht neben den wirtschaftlichen Folgen aber auch immer das neue Nationalgefühl als wichtigstes WM-Ergebnis auf: Die Südafrikaner sind als Gesellschaft zusammengerückt. „Die WM war für uns eine Anlaufstelle, um zusammenzukommen und stolz zu sein“, beschreibt mit dem Soziologen Udesh Pillay vom Forschungszentrum für Sozialwissenschaften in Durban auch ein renommierter Kritiker der anfangs überschätzten WM-Erwartungen das neue Bewusstsein. Und in der Tat: Wer gesehen hat wie sich in Kneipen, Fan-Parks und im Stadion Menschen aller Hautfarben mit Freudentränen in den Armen lagen, als Siphiwe Tshabalala Südafrika im Eröffnungsspiel gegen Mexiko in Front schoss, weiß, dass die WM in Südafrika nicht nur in Heller und Pfennig bewertet werden kann.

Die Südafrikaner haben der Welt ein freundliches Gesicht der Einigkeit gezeigt und auch nach dem Ausscheiden der eigenen Bafana Bafana noch andere Mannschaften unterstützt. Ghana wurde als letzter afrikanischer Vertreter oft hervorgehoben, doch eigentlich waren gefühlt mindestens ebenso viele Fans in den Farben Englands oder Brasiliens geschminkt.

Umso verstörender waren die Nachrichten am Morgen nach dem Finale. Noch in Nacht des Endspiels hatten sich die Gerüchte von neuen fremdenfeindlichen Ausschreitungen bestätigt, in Kapstädter Townships gab es Überfälle auf afrikanische Ausländer. Polizei-Chef Bheki Cele sah dahinter gewöhnliche Kriminelle, die sich in den Geschäften der Ausländer bedienen wollten, und auch Präsident Zuma spielte das Thema zunächst herunter und rief lediglich dazu auf, die „kriminellen Elemente“ zu isolieren. Obwohl die Regierung einerseits mit der raschen Entsendung von starken Polizei- und Armeekräften Unruhen im Keim erstickte, hält sich die Rhetorik, dass es sich bei den neuerlichen Krawallen nur um selbst-erfüllende Gerüchte handele, beständig weiter.

Das mag im Einzelfall sogar stimmen, aber die Probleme liegen tiefer. Es ist die extrem hohe Arbeitslosigkeit und das Ausbleiben von lange versprochenen sozialen Leistungen, wie Kliniken, Wasser-, Strom- und Kanalisationsanschlüssen oder besserer Schulbildung in den Townships, die die Menschen immer wieder auf die Straße bringen. In manchen Fällen schlägt die Wut dann – Berichten zufolge auch von korrupten Lokal-Politikern gesteuert – auf die Einwanderer nieder. Geht es nach Sozialforscher Pillay müsste die Regierung hier – trotz leerer Kassen – die Dynamik der Weltmeisterschaft nutzen, um die lange versprochenen Verbesserungen der Lebensumstände in den Armenvierteln in die Tat umzusetzen. „Wir haben jetzt diese positive Stimmung im Land, wir haben jetzt den Stolz und das nationale Bewusstsein um diese Herausforderungen anzugehen“, sagt Pillay.

Die Südafrikaner haben während der WM gesehen, zu welchen Leistungen ihre Regierung im Stande sein kann, wenn sie nur will. Der Mandela-Day, so will es übrigens die UNO, soll Menschen weltweit dazu aufrufen, ihre Umwelt mit kleinen Taten ein klein wenig besser zu machen. Der heutige Tag dürfte am Kap daher nicht nur ein inoffizieller Feiertag sondern auch ein Tag der Hoffnung sein.

Freitag, 16. Juli 2010

Lesestoff zum Wegträumen

Es ist zwar schon etwas her, aber ich habe hier bisher noch einen Artikel vorenthalten, den es online leider nicht gab. Weil es allerdings ein Reisethema war und das Ziel gerade jetzt im südafrikanischen Winter – der dort extrem mild ausfällt – seinen vollen Reiz entfaltet, schiebe ich es jetzt mal nach:



Südafrika aus der dörflichen Perspektive
Die Transkei-Siedlung Nqileni an der Wildcoast lockt mit unberührter Natur und aufgeschlossenen Bewohnern

Der Blick hinunter ins Tal des
Bulungula-Flusses ist wie eine Erlösung.
Nach zweieinhalb Stunden auf holprigen
Staubstraßen ist die gleichnamige Lodge
hier erstmals in Sichtweite – und nur noch
eine einstündige Wanderung entfernt.
„Das Paradies ist per Definition schwer zu
erreichen!“, lässt die Website der Herberge
direkt am Indischen Ozean mit einem
Augenzwinkern wissen.

In der Tat: Bulungula ist vermutlich das
am weitesten von moderner Infrastruktur
abgelegene Feriendomizil Südafrikas.
Doch längst nicht nur das macht es so besonders.

„Ihre Türen brauchen Sie nicht abzuschließen,
denn es gibt hier keine Kriminalität“,
sagt die Lodge-Leiterin Liesl Benjamin
den Gästen auf der Begrüßungstour. In
Südafrika klingt das zunächst wie ein
schlechter Witz, doch hier in Nqileni ist es
wahr. Schon das Gepäck lassen die Urlauber
am Parkplatz in einer offenen Rundhütte
zurück, der Jeep der Lodge bringt es
am späten Nachmittag nach. Wer nicht
wandern mag, kann auch mitfahren. Eine
Pkw-Straße zur Lodge gibt es nicht.

Die Herberge hält noch weitere Überraschungen
parat. Der Strom wird mit einer
Solaranlage erzeugt und warmes Wasser
strömt nur aus den so genannten Raketenduschen
– der aufgefangene Regen wird in
dieser abenteuerlichen Konstruktion durch
eine Stahlröhre geleitet, an deren unterem
Ende ein Paraffinfeuer für die nötige Erwärmung
sorgt.

Die Unterkünfte bestehen aus stabilen
Safari-Zelten und zehn traditionellen Rundhütten
mit Reetdach, wie sie auch in den
Dörfern ringsum überall zu finden sind.
Das Mobiliar beschränkt sich auf ein bequemes
Doppelbett und einen an zwei Seilen
aufgehängten Stock, der als Handtuchhalter
dient. Luxus gibt es hier tief im Eastern
Cape nicht – dafür aber ein weitgehend unverfälschtes
Kennenlernen der Xhosa-Gemeinschaft.
„Natürlich hat die Bulungula Lodge einen
großen kulturellen Einfluss auf die
Dorfgemeinschaft“, stellt Benjamin mit
Blick auf die Gäste aus aller Welt klar.
„Man kann keine große Glaskuppel haben,
zu der die Leute dann hingehen und
schauen, wie die Einheimischen leben.“ Im
Gegenteil: Das Zusammentreffen von Touristen
und Einheimischen ist gewollter Bestandteil
des Konzepts der Fair Trade akkreditierten
Herberge. Zäune gibt es nur,
um die Ziegen von den frisch gepflanzten
Büschen und Bäumchen rund um die
Lodge fernzuhalten.

Gemeinsam am Lagerfeuer


Am Lagerfeuer sitzen die Menschen aus
Nqileni mit den Urlaubern zusammen,
auch der große Aufenthaltsraum im Haupthaus
wird von allen gemeinsam genutzt.
Die Einheimischen profitieren von der
Lodge. Der Dorfgemeinschaft gehören 40
Prozent des Unternehmens, von den Gewinnen
haben sie bereits einen Traktor angeschafft
und einen Kindergarten mit Vorschule
aufgebaut. Insgesamt 50 Arbeitsplätze
sind in Nqileni und Umgebung
durch den Tourismus entstanden.

Die 23-jährige Khunjulwa Palamenti hat
so einen Weg gefunden, ihre Familie zu unterstützen.
Die Gästeführerin lädt zu einem
Rundgang durch ihr Dorf ein, erklärt Geschichte
und Kultur und übersetzt bei den
Gesprächen mit den Einheimischen. Die im
ländlichen Eastern Cape ansässigen Xhosa
sprechen fast ausschließlich ihre gleichnamige
Muttersprache. Seit Kurzem begleitet
Palamenti die Gäste auch als Übersetzerin
auf der Tour mit dem Sangoma, einem der
in Südafrika noch weit verbreiteten Naturheiler.
Melidinga Mdoseni streift dann mit der
Gruppe durch den Qane-Urwald und erzählt
von der Heilwirkung der verschiedenen
Borken, Blätter und Wurzeln. Glaubt
man ihm, ist gegen jedes Leid ein Kraut gewachsen,
selbst gegen gewalttätige Ehemänner
hat er einen Baumrindentee im Angebot.
Doch auch wer eher der Schulmedizin
vertraut, kommt auf seine Kosten, wenn
der 56-Jährige in seinem grünen Heiler-
Overall die Fauna erklärt, frisch vom Baum
geschälte Borke zum Zähneputzen verteilt
oder plötzlich mitten im Urwald eine einem
Rettich ähnelnde Wurzel ausgräbt und in
Stücke gehackt seiner zögerlichen Kundschaft
zum Verzehr anbietet.

Da Kriminalität in und um Nqileni keine
Rolle spielt, kann man auch auf eigene
Faust endlos über die grünen Hügel, durch
die verbliebenen Urwälder und entlang
der faszinierenden Küste wandern. Die Lagune
direkt vor der Lodge, in der der Bulungula-
Fluss langsam in den Ozean mündet,
lädt zudem zu Kanu-Touren ein, auch auf
dem Pferderücken lässt sich die Gegend
hervorragend erkunden und wer mag,
kann einen Tag mit den Frauen der Dorfgemeinschaft
verbringen und lernen, aus
Lehm Steine für die Rundhütten zu fertigen
oder Umqombothi, ein Mais-Bier, zu
brauen.

Pilsener und Lager gibt es dagegen an
der Lodge-Bar, die auch drei erschwingliche
warme Mahlzeiten pro Tag anbietet.
Selbstversorger müssen ihr Essen mitbringen,
einen Einkaufsmarkt gibt es nicht,
aber im Meer kann man sich an Langusten,
Krabben, Austern und Fischen bedienen,
die abends selbst am Lagerfeuer gegrillt
werden können. Wer beim Beutezug nicht
allein sein will, kann auch hier auf die Erfahrung
eines Guides zurückgreifen.

Das Konzept geht auf. „Unsere Gäste
kommen wegen der kulturellen Erfahrungen
und wegen der traumhaften Lage“, berichtet
Benjamin. Fernab des Haupt-Touristenstroms
versucht sich die gastfreundliche
Dorfgemeinschaft mit Hilfe der Urlauber
weiterzuentwickeln. Als Hintergrund dient
eine touristisch unberührte Traumlandschaft.

Ganzjährig Badetemperaturen

Das Wasser ist ganzjährig warm und selbst
im südafrikanischen Winter von Mai bis
September ist es meist 20 bis 25 Grad warm
und in der Regel sonnig. Das ländliche Eastern Cape
hat etwas von der Klischee-Vorstellung
des traditionellen Afrikas. Kein
Strommast stört das Panoramabild, kein
Lichtsmog macht die Sternschnuppen unsichtbar
und kein Straßenlärm kann die
Idylle stören. Wenn es Krach gibt, dann
sind es entweder Kühe, Esel oder Hühner.

Nqileni ist ein armes Dorf, aber es hat seinen
eigenen Rhythmus, der den Ort paradiesisch
anmuten lässt. Ein Eindruck, der
spätestens dann zum Wiederkehren verleitet,
wenn man wieder in das normale Südafrika
und den hektischen Verkehr auf der
Fernstraße N2 einbiegt.

Buchungen unter Tel. 0027-(0)47-577 89 00.
Doppelzimmer ab umgerechnet 26 Euro), Einzelbett
im Gemeinschaftsschlafraum 11 Euro.
Anreise: Der nächste Flughafen ist das drei Autostunden
entfernte Umthatha. Von dort per Shuttlebus
zur Lodge
Informationen im Internet:
www.bulungula.com

Der Artikel erschien am 22.5. 2010 im Weser Kurier.

Mittwoch, 14. Juli 2010

Paul ist tot, der Teufel siegt



Die erste von einem Tintenfisch verschobene Fußballweltmeisterschaft auf dem afrikanischen Kontinent ist vorüber. Der Verlauf lässt sich oberflächlich als vorhersehbar beschreiben. Die Fifa scheffelte Milliarden, Südafrika ist über beide Ohren verschuldet und weiß mit den tollen Stadien ab jetzt nichts mehr anzufangen und die große afrikanische Einigkeit entlud sich noch in der Nacht nach dem Finale in erste Übergriffe auf Flüchtlinge in Kapstadter Townships. Von ihren jeweiligen Leit- und Hetzmedien ausreichend sensibilisiert ließen sich aber keine europäischen Touristen von Macheten-Gangs zerhacken, auch die nationale Burenfront zog es vor, ihre Rand lieber in Klipdrift-Brandy als in den Bombenbau zu investieren und so kam es, dass bei einer Umfrage des Western Cape Tourismus-Ministeriums 66 Prozent der internationalen Gäste angaben, mit ihren Familien wiederkommen zu wollen. Na klar, der ein oder andere Tourist fährt ohne seine alte Digital-Kamera nach Hause und auch ein paar Journalisten erhielten die Gelegenheit rührende Stories darüber zu schreiben, wie ihnen das eigene Auto ausgeräumt wurde. Wer daraus einem Land mit jährlich zwölf Millionen Besuchern einen Strick drehen will, handelt allerdings offensichtlich in böser Absicht.

Sportlich gab es ein paar obligatorische Überraschungen, wobei das Ausscheiden der pomadigen Teams aus Frankreich und Italien schon sehr genüsslich war, der finale Kampf der Bafana Bafana herzzerreißend, der Spielstil des deutschen Teams erfrischend und der Sieg Spaniens verdient. Aber was zählt all dies noch nach jenem Lattentreffer aus elf Metern in der 121. Minute des Spiels Ghana gegen Uruguay. Da vermarktet sich ein ganzer Kontinent mit einer WM, um vom Image des Elends und der ewigen Tragik wegzukommen, und dann scheidet die letzte im Turnier verbliebene afrikanische Mannschaft so aus. Zu allem Überfluss wird dann mit Diego Forlan, dem Mann der eine richtungsändernde Fernbedienung für Jabulani, den Ball, besitzt, auch noch der Teufel höchstpersönlich zum Spieler des Turniers erkoren. Fünf Zentimeter tiefer und es hätte Asamoah Gyan werden können.

Pulpo Paul dementiert mit allen acht Armen abwiegelnd natürlich jegliche Verstrickung in diese Angelegenheit. Ob es stimmt, weiß ich nicht. Nach meinem letzten hand- und armgreiflichen Kampf mit einem Oktopus, den das Tier an der Küste Port Elizabeths für sich entscheiden konnte und mein Abendessen auf Muscheln mit Reis beschränkte, vertraue ich den Kraken aber nicht mehr. Trotzdem muss ich dem Tentakel-Orakel hoch dankbar sein. Da ich während der WM bei der ARD verdingt war und Spiele mit deutscher Beteiligung in Port Elizabeth mehr Arbeit versprachen, war ich natürlich – ganz der Patriot – bis zum Halbfinale glühender Deutschland-Fan, und dann der stolzeste Spanier auf Erden. Mit Pauls gehirnbeeinflussender Hilfe kam es dann ja auch genau so, wie es kommen sollte, und ich durfte für ein paar Minuten mit dem präsidentiellen Wulff tanzen, der anlässlich der Verlierer-Finale-Siegerehrung mal eben herunter gejettet war. Ganz würdig fand ich ihn als Gratulanten für das deutsche Team allerdings nicht, denn die DFB-Elf hatte ja immerhin schon im zweiten Anlauf gewonnen…

Ich will hier aber gar nichts vorgauckeln, denn als ich erfuhr, dass Paul eh bald aus dem Dienst ausscheidet, vergaß ich eh sämtliche Politika und es setzte sich der Karnivore in mir dann doch wieder über den dankbaren Tintenfischfreund durch. In the end I picked Paul…



Donnerstag, 1. Juli 2010

Die Sache namens Apartheid

Gestern Nachmittag hatte ich mal wieder einen Kontakt mit dem südafrikanischen Gesundheitswesen. Keine Sorge mir geht’s gut. Aber zwei Girlies klopften an meiner Tür, um Geld für eine Freundin zu sammeln, die an Unterleibskrebs erkrankt sei. Für zehn Rand konnte ich einen Kugelschreiber erstehen und so meinen Teil zur OP beitragen. Das Fundraising-Modell schien mir ausreichend auf meine Berufsgruppe zugeschnitten, also war ich dabei. Ein blauer Kuli ist jetzt mein Eigen.

Doch dabei wollte ich es nicht bewenden lassen und fragte mal – ganz den unwissenden Deutschen mimend – nach, ob es denn hier keine staatliche Krankenversicherung und Gesundheitsvorsorge für alle gebe. Ganz fair war das sicher nicht, denn mit dem südafrikanischen Gesundheitswesen kenne ich mich zumindest aus zweiter Hand ganz gut aus, meine Freundin ist Ärztin an einem staatlichen Krankenhaus. Für Kranke besteht in diesem Land eine strikte Finanzapartheid: Wer es sich leisten kann, greift auf die noblen Privatkliniken zurück, wer das Geld nicht hat, landet in den oft schäbig anmutenden, von Verwaltungsmissmanagement gebeutelten und materiell und finanziell insbesondere hier im Eastern Cape miserabel ausgestatteten Öffentlichen Krankenhäusern, in denen die vornehmlich jungen Ärzte einen aussichtslosen Kampf um die Versorgung der von ärmlichen Wohnverhältnissen, Fehlernährung und nicht-existenter Vorsorge angetriebenen Patienten-Lawine führen.

Gerade für weiße Südafrikaner sind diese Einrichtungen der blanke Horror. Es gäbe schon freie Gesundheitsfürsorge, sagte das eine Mädel daher auch, aber diese Krankenhäuser seien „widerlich, dreckig, stinkig, überall trieft das Blut und die Leute husten dich an“. Nur die ärmsten Weißen setzen sich soweit herab, ein staatliches Krankenhaus zu betreten. Dann doch lieber für eine Operation woanders betteln gehen. Und um es offen zu sagen: All diese Ekel sind keine reinen Vorurteile, ich möchte auch in keinem dieser Krankenhäuser im momentanen Zustand liegen.

Was mich nachdenklich gemacht hat, war das, was die Mädels danach sagten. Sie hätten „diese Sache namens Apartheid“ gehabt in Südafrika, bis 1993 – nein 1994 war’s vorbei, wirft die Freundin ein, aber die andere ist sich sicher, dass es 1993 war. Naja ein Jahr Unterdrückung mehr oder weniger, was macht das schon. Die beiden sind um die Zeit schätzungsweise gerade geboren worden. „Ich will nicht rassistisch klingen, aber als die Africans das Land übernommen haben, ging alles den Bach runter“ fährt sie wenigstens im Vokabular die Political Correctness wahrend fort. Meinen vorsichtigen Einwand, dass die Versorgungslage für Schwarze vor 1994 nicht unbedingt besser gewesen wäre, haben die beiden dann nicht so richtig verstanden und mir lieber nochmal den Unterschied zwischen privaten und staatlichen Krankenhäusern erzählt. Die beiden Mädchen, vielleicht 17, 18 Jahre alt sind wirklich keine großen Rassisten, das nehme ich ihnen ab - schon gar nicht im internen Vergleich dieses Landes. Trotzdem weiß ich nicht, ob sie sich mit meinem Mitbewohner auch so nett unterhalten hätten, obwohl der eigentlich noch viel charmanter ist, als ich es bin.
„I like your accent“, kicherte mir die eine Kuli-Verkäuferin zum Schluss noch entgegen. „I don’t like your attitude“, dachte ich für mich, aber um es auch auszusprechen, war ich mir nicht sicher genug, ob sie denn wirklich auch versteht, was sie da in Erwartung meines weißen Verständnisses für einen Unsinn erzählt. Beim nächsten Blick in den Briefkasten fand ich dann sogar noch einen Zettel mit Telefonnummer und dem Wunsch, mich besser kennenzulernen. Seitdem weiß ich, dass vrek oulik auf Afrikaans irgendwas wie „süß“ heißt. Ich finde das auch süß. Vielleicht sollte ich ja zusagen. Es gäbe so viel zu erzählen.

Zum Beispiel, dass Südafrika in der ganzen Versöhnungs- und Vereinigungssoße, die seit Jahren wie ein dicker Ölfilm über dem Land liegt, in falschen Umarmungen erstickt, während unterm Deckel die alten Ressentiments weiterköcheln. Wahre Verständigung sieht anders aus, als das Jugendliche heute nicht einmal mehr wissen, wann die Apartheid endete, geschweige denn, worum es ging. Und ohne dieses Wissen kann es auch keine vernünftige Meinungsbildung zu den aktuellen Themen geben. Das Gesundheitssystem ist da natürlich nur ein Brennpunkt, aber ein wichtiger. Natürlich könnte die Versorgung hier viel besser sein. Wenn mehr Menschen Zugang zu Bildung, Arbeit und gesunder Ernährung hätten und darüber hinaus noch in vernünftigen Häusern wohnen würden, anstatt abends halb im Rauch- und Paraffin-Gestank provisorischer Öfen zu ersticken und nachts trotzdem unter durch löchrige Blechdächer nassgeregneten Decken halb zu erfrieren. Wenn dazu die Arm-Reich-Schere ein bisschen weniger offen wäre. Und wenn die Unsummen, die alljährlich in private Krankenversorgung fließen, in einer solidarischen Krankenversicherung gemeinsam mit den spärlichen Mitteln für die Unterklassen verwendet würden. Dann, ja dann und vermutlich auch nur dann, würde das Gesundheitssystem Südafrikas auch viel besser funktionieren und niemand müsste Kugelschreiber verkaufen, um Krebsoperationen zu finanzieren. Aber womit würde ich dann morgen meine Notizen machen…

PS: Dies ist übrigens ein Jubiläum, der hundertste Post. Wäre es mir eher aufgefallen, hätte ich was lustigeres geschrieben. Mal sehen, wann Piet oder Per mir mal wieder über den Weg läuft...

Donnerstag, 24. Juni 2010

Für die Katz'

Zur Feier des Tages habe ich heute noch ein Special für Stammleser. Die sagenumwobene Katze Brandy, leider nur ohne Piet oder Per. Aber man muss ja steigerungsfähig bleiben.


Wenig optimierbar waren übrigens die vergangenen Tage in Port Elizabeth. Die Veranstalter des Public Viewings hier haben es tatsächlich vollbracht, den DJ-Veteran Fatboy Slim auf die Bühne im Fan Park zu zerren – am Abend nach dem letzten Südafrika-Gruppenspiel und gleichzeitig am Vorabend des Auftritts der Engländer hier in der Stadt. Ganz großes Elektro-Tennis. Eine Antisocial-Dancing-Aufwärmphase sozusagen, die Südafrikaner waren außerdem auch weltmeisterlich im Trotzdem-Feiern.

Das war aber auch ein hundebitteres Ausscheiden, es hatte sogar Züge sankt-paulianischer Qualen, wie die Mannschaft bis zur Halbzeit die Emotionen und Hoffnungen auf ein Wunder schürte und dann letztendlich doch drei Tore fehlten. Ein Katzenjammer, um im Bild zu bleiben.

Am nächsten Nachmittag war der Schmerz verdrängt und ich stand Hymnen auf die Queen grölend und oberkörperfrei in der ersten Reihe im Stadion, circa zehn Meter von der Mittellinie. Das hat zwei Gründe:
1. Ich wollte auch mal der Honk sein, den die Fanblock-Kamera einfängt und ich muss sagen, ab dem fünften Bier fühlt sich das sogar recht lustig an.
2. Der Kartenpolitik der FIFA zum Dank sind immer noch genügend Plätze in jeder Stadiongegend frei bei dieser WM. Das fühlt sich aber auch nach dem achten Bier noch nicht so lustig an, zumal man im Stadion ja auf Budweiser angewiesen ist.

Nun genug der Alkohol-Verherrlichung, aber ich bitte das zu entschuldigen, denn was soll man sonst schreiben in einer Gegend, wo selbst die Katzen Brandy heißen. Miau.

Montag, 21. Juni 2010



Bei der Recherche für einen Artikel auf ZEIT online habe ich mich neulich in zwei der wichtigsten Museen Port Elizabeths begeben, die unterschiedlicher eigentlich nicht sein könnten: Das Red Location Museum und das South End Museum. Ersteres ist nach den rot-braun korrodierten Blechhütten des ältesten Townships von Port Elizabeth, New Brighton, benannt, wo es inmitten einer Hüttensiedlung auch als Monument neuer Architekturkunst ziemlich verwirrend herausragt. Hier wird genau dort an den Kampf gegen die Apartheid erinnert, wo die erste Zelle des bewaffneten Arms des ANC, uMkhonto we Sizwe, entstand. Das Red Location Museum wurde mit Preisen überhäuft, nicht nur für seine Gestaltung, sondern auch für den Inhalt. Drinnen bekommt der Besucher einen Einblick in die Geisteshaltung der Apartheidregierung, wenn er liest, was der damalige Justizminister (welch Oxymoron, ein Apartheid-Justizminister…) Jimmy Kruger zum Tod des zumindest intellektuell wohl wichtigsten schwarzen Widerstandskämpfers Steve Biko 1977 zu sagen hatte:

Ich bin nicht froh und ich bin nicht traurig über Herrn Biko. Sein Tod lässt mich kalt. Ich kann Ihnen nichts sagen. Jeder Mensch der stirbt… Ich sollte auch traurig sein, wenn ich sterbe… (Gelächter).


Dass Biko ermordet wurde, hatte das Regime damals noch vertuscht, doch selbst als Kruger Monate später zugeben musste, dass Biko an Gehirnverletzungen gestorben war, legte er noch zynisch nach.

Ein Mann kann sein Gehirn auf vielerlei Art und Weise verletzen. Ich wollte meinen Kopf auch schon so manches Mal gegen eine Wand schlagen, aber realisiere jetzt, durch die Biko-Autopsie, dass es gut war, dass ich es nicht getan habe.


Ich denke, man muss nicht unbedingt ein besonders blutrünstiger Mensch sein, wenn man in diesem Moment auch gern die Festigkeit von Herrn Krugers Schädel beim wiederholten Aufprall auf eine Betonwand testen würde. Die hohe, kalte und karge Ausstellungshalle, in der auch der vielen vergessenen und häufig längst gestorbenen oder ermordeten Freiheitskämpfer gedacht wird, transportiert eine Gefühlsmischung aus Trauer und Wut. Wenn man dann rauskommt und die Wohnsituation der Menschen in der Hüttensiedlung sieht, steigt die Stimmung nicht gerade.

Das South End Museum ist dagegen eher ein Mauerblümchen. Es kann sich nicht mit internationalen Preisen schmücken, es ist auch nicht Teil der gewinnbringend vermarkteten Touristen-Touren und es hatte auch nicht das Glück, aus prall gefüllten Fördertöpfen schöpfen zu können. South End war der bunte Hafenstadtteil von Port Elizabeth. Hier lebten Moslems und Christen, Coloureds und Weiße nebeneinander. Bis in den siebziger Jahren die Bulldozer und Planierraupen kamen. Ein friedliches multi-ethnisches Zusammenleben durfte es im rassistischen Südafrika nicht geben. Die meisten Einwohner wurden an den entferntesten Stadtrand zwangsumgesiedelt, heute zeugen nur noch ein paar herrliche Gemälde und die als einziges Gebäude erhaltene Moschee von der einstigen Pracht South Ends. Und eben das Museum, das liebevoll unzählige Familienfotos auf Themenwände geklebt hat, um das ganz normale Familienleben in South End nicht in Vergessenheit geraten zu lassen – Kinder in der Viertel-Schwimmhalle, der örtliche Kricket-Verein, die Angler auf der Hafenmole mit ihren stolzen Fängen oder die Spielmannszüge des Stadtteils. Das kleine Gemeinschaftsmuseum will gar nicht die große Politik erklären. Es zeigt einfach nur haarklein, was in South End alles zerstört wurde. Und eigentlich wirkt das noch viel intensiver.

Soweit wäre all das aber noch nicht einmal außergewöhnlich, Museen zeigen eben auch die traurigen Etappen unserer Vergangenheit. Das Schlucken setzte bei mir aber immer dann ein, wenn zur Geschichte plötzlich Bilder mir bekannter Menschen auftauchten. Im Red Location war das der Vater eines Freundes aus Johannesburg, der als einer von vier Ärzten mit seinen Recherchen den Mediziner vor eine Ärztekommission brachte, der an der Ermordung Steve Bikos mit seinen absichtlichen Falschdiagnosen wesentlich beteiligt war. Im South End Museum war ich mit einem guten Freund, der selbst noch in South End gewohnt hat, auf den Fotos fanden wir ihn selbst, seine heutige Frau und deren Brüder wieder. Auch der Museumsleiter, musste South End einst verlassen.

Sie hatten keine Chance, sagt er, wer sich geweigert habe, wurde ruck zuck abgeführt, nicht selten seien widerspenstige Apartheid-Gegner dann im Hochhaus der Apartheid-Polizei rein zufällig aus dem Fenster gefallen. Die damals aufgerissenen Gräben sind natürlich noch längst nicht zugeschüttet. Erstaunlich ist allerdings, dass der Versöhnungsprozess mehrheitlich immer noch von den einstigen Opfern angeschoben wird. Das merkt man auch bei einer Tour durch ein Township, worum es in meinem Artikel hauptsächlich geht.

Sonntag, 13. Juni 2010

Feel it, it's here: Mehr Lesestoff


Der Ball rollt und der Laptop qualmt. Gestern kam ich beim Klassiker Griechenland gegen Südkorea zum ersten WM-Spiel (und nach dem noch prestigeträchtigeren Duell zwischen Weißrussland und Andorra überhaupt erst zweiten Länderspiel) meines Lebens live im Stadion. Und weil gerade Ghana gegen Serbien im Fernsehen läuft, preise ich jetzt auch nur fix und ohne große Umschweife die aktuellen Ergebnisse meiner Schaffenskraft an. Die da wären:

Zwei kleine Videos auf Weser Kurier online, eines zu den letzten Vorbereitungen zum hochoffiziellen Fifa Fan Fest in Port Elizabeth und eins zum Auftaktmatch aus den Kneipen Walmer Townships. Auf der Weser-Kurier-Seite gibt es jetzt sogar einen eigenen Rubrikenkasten für mich. Wow.

Selbigen hat bremen4u schon etwas länger, sogar mit krasser Fotocollage zum Außenkorrespondenten. Nochmal Wow. Dort gibt es übrigens auch drei neue Texte, einer kurz vor der WM, einer nach dem Eröffnungsspiel und ein Bericht vom Deutschlandspiel im Deutschen Klub.
Dann wäre da noch das WM-Tagebuch, jeden Mittwoch und Sonntag im Bremer Anzeiger. Wer ihn nicht in den Briefkasten bekommt, kann auch online im ePaper lesen, was ich so verzapfe, allerdings immer nur bis zum Erscheinen der nächsten Ausgabe.

Etwas tiefgründiger ist mein Bericht über die Gewerkschaft der südafrikanischen Fußballer, der in den Nord-Süd News erschienen ist.

Und für alle Nicht-WM-Fieber-Heimgesuchten gibt es noch einen Artikel in der Neuen Osnabrücker Zeitung über eine junge Osnabrückerin, die bei Masifunde den Planungsprozess für ein neues Jugendzentrum in Walmer Township gemeinsam mit Jugendlichen aus Walmer voran bringt. Die brauchen übrigens noch Spenden für den Grundstück-Kauf, wer also noch nach sinnvollen Alternativen zur Investition in ans Auto anzubringende Nationalflaggen sucht oder auch einfach so ein paar Euro übrig hat, findet auf der Masifunde Homepage mehr Infos.

Mittwoch, 9. Juni 2010

Die Geschichte hinter den drohenden WM-Streiks

Neben der WM passieren in Südafrika tatsächlich auch noch andere Dinge und im Geräuschpegel von Millionen Vuvuzelas wäre so fast untergegangen, dass eine Horde gieriger ANC-Kader ziemlich fahrlässig den Fortbestand der Allianz mit dem Gewerkschaftsbund COSATU riskiert hat. Und auf einmal drohen Streiks zur WM. Aber warum denn nur, wieso denn bloß?

Man sieht: Es geht um Fat Cats.

ANC und COSATU sind – mit der kommunistischen Partei Südafrikas als dritten im Boot – seit dem Kampf gegen die Apartheid fest miteinander verbündet. Zuletzt hatte es aber immer mehr gekriselt, weil wirtschaftsnahe Kreise im ANC die politische Agenda lieber allein bestimmen und die Allianz-Partner eher als nützliches Stimmvieh denn echte Partner betrachten. Die Wirtschaftsnähe dieser Damen und Herren rührt übrigens nicht selten daher, dass sie ihre Lebenspartner, Kinder, Geschwister, Strohmänner oder manchmal auch einfach sich selbst mit lukrativen Aufträgen oder Unternehmensbeteiligungen versorgt haben und weiter versorgen. Letzteres wird dann häufig noch als großer Erfolg der „Revolution“ dargestellt, weil ja nun Schwarze in Führungspositionen sitzen. Gerade so, als hätten die Arbeiter, Lebenskünstler und Arbeitslosen des Landes noch nicht erkannt, dass ein schwarzer Boss sie mindestens genauso schlecht behandeln und genauso gut feuern kann wie ein weißer Boss.
Dem COSATU-Generalsekretär Zwelinzima Vavi, dessen Frau übrigens – das sei der Vollständigkeit halber erwähnt – von einem Finanzdienstleister ordentliche Bezüge kassiert, damit sie dafür sorgt, dass Gewerkschaftsmitglieder ihre Rentenversicherungen bei dem betreffenden Unternehmen abschließen, ging das nun entweder alles ein bisschen zu weit oder er brauchte nur einen passenden Mantel, um seine Attacke auf die nach wie vor neoliberale Alleinherrschaftspolitik des ANC zu verkleiden. Jedenfalls hat er Präsident Jacob Zuma öffentlich dafür kritisiert, nicht gegen die Korruption und Selbstbelohnung in den eigenen Reihen vorzugehen – schön mit Namen und Hausnummern von zwei Ministern. Die fanden das erwartungsgemäß unappetitlich und schwuppdiwupp ein paar Tage später brachte ein Führungsgremium des ANC ein Partei-Disziplinarverfahren gegen Vavi auf den Weg. Der ist nämlich wegen eingangs erwähnter Allianz gleichzeitig ANC-Mitglied und somit per Protokoll natürlich verpflichtet bei korrupten Machenschaften schön die Klappe zu halten. Zumindest haben das einige ANC-Helden recht unverblümt so rübergebracht. Ein Glück, dass der ANC nicht in die Hölle sozialistischer Unfreiheiten abgedriftet ist, möchte man da hinzufügen. Viva Taschenbefüllung!

Die Reaktion der Gewerkschaften war ein Proteststurm, der den ANC zur Rücknahme dieses wahnwitzigen Versuchs der Partner-Abstrafung gezwungen hat, aber das Spiel ist natürlich noch lange nicht aus. Es geht nach wie vor um den politischen Einfluss auf Regierungsentscheidungen und COSATU will da viel mehr mitreden als bisher. Nur ein Beispiel: Der ANC hat im Alleingang der halbstaatlichen Stromgesellschaft Eskom eine Verdopplung der Strompreise in den nächsten drei Jahren versprochen, die ersten 25 Prozent kommen schon dieses Jahr auf die Rechnung. Die ganz dicken Industriefische zahlen übrigens jetzt schon bis zu hundertmal weniger als die Mama mit acht Kindern in ihrer Township-Hütte. Diese dicken Fische, Aluminiumschmelzen und dergleichen, haben übrigens auch langfristige Verträge und zahlen weiterhin keinen Cent zusätzlich. Diese Industriebetriebe zahlen sogar weniger als den Preis der Stromproduktion, sie werden also quasi von den Armen noch indirekt bezuschusst – aber das nur als populistischer Einschub am Rande.

COSATU findet das weniger schön. Aber COSATU ist eben auch – anders als der ANC – nicht über seinen Investmentflügel an der Firma beteiligt, die von dem schönen vielen neuen Geld, das Eskom nun bekommt, lukrative Aufträge beim Kraftwerkbau bekommt. Auch von dem milliardenschweren Weltbankkredit, den der ANC für Eskom durchgewunken hat, hat COSATU daher nichts.

Kein Wunder, dass die neidisch sind. Und weil die zuständige Regierungsbehörde die monatelange Forderung COSATUs, die Strompreiserhöhung zurück zu nehmen, nun am 14. Juni, drei Tage nach WM-Start, beraten will, haben die miesen Erpresser von den Gewerkschaften nun angekündigt, ebenfalls am 14. Juni über Streiks zu beraten. Und eines ist sicher: Wenn COSATU streikt, dann ist Ruhe im Land. Das wusste die Regierung zwar lange vorher, aber wenn die Fat Cats eines gelernt haben, dann ist es die Übung, den Schuldigen immer woanders zu suchen. In den eigenen Taschen kann der schwarze Peter ja schließlich nicht stecken, denn die sind schon anderweitig voll.

Ich habe zum Thema auch zwei Artikel am alles regelnden Markt. Einen in der jungen Welt und einen in der heutigen Ausgabe des Weser Kuriers. Es verbleiben mehr als 23 Stunden zum Kauf, denn online wird es das Stück wohl nicht geben.

Dienstag, 8. Juni 2010

Sala kakuhle, Walmer Township, lebe wohl!



Es ist Zeit, einen Abschied bekannt zu geben. Die Zeiten, in denen ich ein komplettes, wenn auch nur einräumiges Haus als Bleibe zur Verfügung hatte, sind verflossen. Nach ziemlich genau drei Monaten habe ich Gqebera den Rücken gekehrt. Aus privaten Gründen und auf eigenen Wunsch würde ich auf einer Pressekonferenz jetzt sagen. Doch keine Sorge: Passiert ist nichts, nur genau das war irgendwann mein Problem. Ich wartete nämlich über die gesamte Zeit auf ein Gittertor vor meiner Tür, das meine Versicherung zur Zahlungsvoraussetzung im Einbruchsfall gemacht hatte. Auch der Fakt, dass das Schloss der Garagentür einfach irgendwann abgefallen und nie ersetzt worden ist, trug nicht zu meiner völligen Beruhigung bei. Und nun ja, bei inzwischen einstelligen Abendtemperaturen wäre eine warme Dusche nach dem Fußball auch ein Segen gewesen, nur dazu hätte man den vorhandenen Boiler in der Tat auch mal anschließen lassen müssen. Schlagt mich, verdammt meine deutsche Ungeduld und mein europäisches Luxus-Streben, aber als bei einem Freund ein Zimmer frei war, habe ich mich daher vom Acker gemacht.

Der Kontrast könnte größer nicht sein. Ich wohne jetzt wieder hinter hohen Mauern und Elektrodraht, in einer abgeschotteten Wohnsiedlung mit circa 20 ewig gleichen Einfamilien-Häuschen. Die Wände sind – ich hatte es bereits erwähnt – so dick, dass mein Internet-Funker Probleme bekommt, aber manche Nachbarn sind doch irgendwie allgegenwärtig. Nur meist nicht so herzlich, wie in Walmer...

Als ich mein Auto von den Umzugskoffern entlud, traf ich beispielsweise den Piet oder Per, so genau konnte ich das dem Genuschel nicht entnehmen. Piet oder Per wohnt auch irgendwo in der Siedlung hier und ist so der Typ Blockwart. Er ist ein kleiner, etwas rundlicher Afrikaaner der "32 years in correctional services" gearbeitet hat. Bis 1997. Ein Job und eine Zeit, die ihn mit seinem Schnurrbart schon mal per se sowas von sympathisch machen. Piet oder Per wollte eigentlich wohl auch nur checken, ob ich nicht auf dem falschen Parkplatz stünde. Ich wohne aber wirklich in Nummer 24. Er hat mich dann noch freundlicherweise rasch aufgeklärt, dass in dem Haus aber vorher Schwarze gewohnt hätten. Krass, ne!? "Oh", meinte Piet oder Per dann nur, als ich ihm verraten hab, das wir zusammen wohnen. Dann hat er lieber schnell weiter nach seiner Katze gesucht und ist laut "Brandyyyyyy" rufend durch die Siedlung getapst. Wäre ich schlagfertig, hätte ich noch fix ein "Welcome to South Africa" in ironischem Unterton hinterher geschoben, wie konservative, weiße Zeitgenossen es hier immer gleich parat haben, wenn mal irgendwo der unterbezahlte braunhäutigere Service-Zuständige nicht augenblicklich parat springt.

Nun will ich mein neues Zuhause aber auch nicht nur schlecht machen. Eine Lounge mit Fernseher, Esstisch und schmucker Küche, dazu ein kleines Büro-Zimmer und ein Schlafraum, in dem es nicht durch alle Spalten und Fugen zieht – all das hat schon was. Auch der Gemeinschaftspool ist nicht zu verachten, wenn es mal wieder wärmer wird. Dazu ein Mitbewohner, der wie ich permanent in der Weltgeschichte herumwuselt, um irgendwelche Dokumentar-Filme zu drehen und auch sonst ein zwar etwas zerstreuter aber absolut brauchbarer Zeitgenosse ist. Ich glaube, dieser Typ Mitmensch passt zu mir, um gewisse Parallelen zur Bremer Vergangenheit mal nur anzudeuten…
An dieser Stelle möchte ich noch Torben Brinkema grüßen und schlafe dann in der himmlischen Stille der Vorstadt ein. Und ganz zum Schluss sei noch erwähnt, dass Walmer mich auch noch nicht ganz los ist. Das Schülermagazin zieht mich natürlich noch jeden Mittwoch ins Township und mein Fußballverein sowieso. Einmal Young Chief, immer Young Chief. Wenn wir denn nur mal wieder ordentlich trainieren, geschweige denn ein Spiel gewinnen würden. Aber das ist eine andere Geschichte.

Und jetzt ab ins neue...