Die Frage nach dem eigenen Wohlbefinden, wird mir in Walmer Township auch heute immer noch mal wieder gestellt. Dahinter vermute ich eine seltsame Dankbarkeit der Viertel-Bewohner gegenüber der Bleichnase, die sich „mit ihnen einlässt“, einfach nur genau dafür. Dementsprechend nervt mich das, obwohl es natürlich eigentlich nur nett gemeint sein soll. Die Begegnung kurz vorm Anpfiff des Länderspiels zwischen Ägypten und Südafrika schien zunächst daher auch nur so eine von vielen zu sein. Nach dem ersten „Are you happy?“ fand ich sogar den selbst ernannten „Präsidenten von Walmer“, ein offensichtlich geistig verwirrter Alkoholiker, der viertel-bekannt ist und an diesem Tag mal wieder auftauchte, noch kreativer. Der vermutete nämlich, meine Freundin sei Japanerin, was zwar abwegig ist, ihn aber auch nach ihrem Bekenntnis zu Südafrika nicht davon abhielt, sein Mitleid über die Katastrophe in Japan auszuschütten. Einen kleinen Kritikpunkt hat er dann aber doch noch eingebaut, denn glaubt man dem Präsidenten von Walmer, haben die Japaner wahrscheinlich nicht ausreichend intensiv zu Gott gebetet. Wohl dem, der sich tagein tagaus in einer erdbebensicheren Zone 800 Kilometer entfernt vom nächsten Atomkraftwerk die Kante gibt.
Doch zurück zum eigentlich Mann des Tages. Der hatte nämlich mich nach meiner Herkunft gefragt und auf die Antwort nur kurz „Spräschen ssie deuts?“ geantwortet. Er war einmal in Brandenburg, erzählte er dann, „zum Arbeiten“, und als er mir dann auch noch von seinen Erlebnissen beim Motorradrennen auf dem Teterower Bergring berichtete, habe ich ihm die Geschichte auch spätestens abgenommen. Unter Honecker sei das noch gewesen, erzählte der Mann nicht ohne Stolz und vor allem nicht ohne ausdrückliche Dankbarkeit gegenüber der DDR. Seine dargebotenen Russisch-Künste kann ich zwar nicht qualitativ beurteilen, es klang aber echt… Damit war dann auch klar, was der Herr meinte, mit der „Arbeit“, von der er sprach. Vor mir stand ein ehemaliger Freiheitskämpfer, ein Soldat Umkhonto we Sizwes (MK), der im Exil in der DDR und in der Sowjetunion für den Kampf gegen das Apartheidregime ausgebildet worden war. Die BRD zog es zu der Zeit vor, ihre Unternehmen gepanzerte Fahrzeuge und sogar eine ganze Waffenfabrik an die rassistische Minderheitsregierung liefern zu lassen. Das war produktiver. Doch davon wollte der Mann gar nicht zu lang erzählen. Bafana Bafana spielte schließlich und siegte sogar sensationell durch einen Treffer in der dritten Minute der Nachspielzeit. Auf dem Platz vor der Fleischerei mit Grill und Kneipenanschluss, wo wir das Spiel auf eine Hauswand projiziert verfolgt hatten, bildeten sich Jubeltrauben. Keiner musste jetzt noch fragen, ob sich irgendwer wohl fühlte.
Irgendwie kamen wir dann später aber doch noch auf Chris Hani zu sprechen. Der Mann kannte den ehemaligen Stabschef MKs persönlich. Das verwundert nicht, Hani galt als volksnah und hat seine Truppen im Exil häufig besucht. Hani war die Verkörperung jener revolutionären Aufrichtigkeit, die in der heutigen politischen Elite Südafrikas so schmerzlich vermisst wird. Hani, das gilt als sicher, wäre 1999 Nachfolger Nelson Mandelas geworden. Und unter Hani, der später Generalsekretär der Kommunistischen Partei Südafrikas war, hätte Südafrika heute wahrscheinlich ein anderes Gesicht. Dass Hani tot ist, davon wollte der ältere Herr nichts hören. Er legte nur seinen Zeigefinger auf seine Lippen. Pause. „Er mag gegangen sein, aber hier drin ist er immer noch da“, sagte er dann leise, während er sich beide Hände flach auf den Brustkorb legte.
Am 10. April 1993, heute vor genau 18 Jahren, ist Martin Thembisile Hani, Deckname Chris, gegangen. Ein Rassist war vor seinem Haus vorgefahren und hatte seiner kleinen Tochter zu gewunken. Die hatte in der Tür auf ihren Vater gewartet, der gerade durch die Einfahrt schritt. Das Mädchen machte Hani auf den Fremden aufmerksam. Als er sich umdrehte fielen die Schüsse.
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