Donnerstag, 1. Juli 2010

Die Sache namens Apartheid

Gestern Nachmittag hatte ich mal wieder einen Kontakt mit dem südafrikanischen Gesundheitswesen. Keine Sorge mir geht’s gut. Aber zwei Girlies klopften an meiner Tür, um Geld für eine Freundin zu sammeln, die an Unterleibskrebs erkrankt sei. Für zehn Rand konnte ich einen Kugelschreiber erstehen und so meinen Teil zur OP beitragen. Das Fundraising-Modell schien mir ausreichend auf meine Berufsgruppe zugeschnitten, also war ich dabei. Ein blauer Kuli ist jetzt mein Eigen.

Doch dabei wollte ich es nicht bewenden lassen und fragte mal – ganz den unwissenden Deutschen mimend – nach, ob es denn hier keine staatliche Krankenversicherung und Gesundheitsvorsorge für alle gebe. Ganz fair war das sicher nicht, denn mit dem südafrikanischen Gesundheitswesen kenne ich mich zumindest aus zweiter Hand ganz gut aus, meine Freundin ist Ärztin an einem staatlichen Krankenhaus. Für Kranke besteht in diesem Land eine strikte Finanzapartheid: Wer es sich leisten kann, greift auf die noblen Privatkliniken zurück, wer das Geld nicht hat, landet in den oft schäbig anmutenden, von Verwaltungsmissmanagement gebeutelten und materiell und finanziell insbesondere hier im Eastern Cape miserabel ausgestatteten Öffentlichen Krankenhäusern, in denen die vornehmlich jungen Ärzte einen aussichtslosen Kampf um die Versorgung der von ärmlichen Wohnverhältnissen, Fehlernährung und nicht-existenter Vorsorge angetriebenen Patienten-Lawine führen.

Gerade für weiße Südafrikaner sind diese Einrichtungen der blanke Horror. Es gäbe schon freie Gesundheitsfürsorge, sagte das eine Mädel daher auch, aber diese Krankenhäuser seien „widerlich, dreckig, stinkig, überall trieft das Blut und die Leute husten dich an“. Nur die ärmsten Weißen setzen sich soweit herab, ein staatliches Krankenhaus zu betreten. Dann doch lieber für eine Operation woanders betteln gehen. Und um es offen zu sagen: All diese Ekel sind keine reinen Vorurteile, ich möchte auch in keinem dieser Krankenhäuser im momentanen Zustand liegen.

Was mich nachdenklich gemacht hat, war das, was die Mädels danach sagten. Sie hätten „diese Sache namens Apartheid“ gehabt in Südafrika, bis 1993 – nein 1994 war’s vorbei, wirft die Freundin ein, aber die andere ist sich sicher, dass es 1993 war. Naja ein Jahr Unterdrückung mehr oder weniger, was macht das schon. Die beiden sind um die Zeit schätzungsweise gerade geboren worden. „Ich will nicht rassistisch klingen, aber als die Africans das Land übernommen haben, ging alles den Bach runter“ fährt sie wenigstens im Vokabular die Political Correctness wahrend fort. Meinen vorsichtigen Einwand, dass die Versorgungslage für Schwarze vor 1994 nicht unbedingt besser gewesen wäre, haben die beiden dann nicht so richtig verstanden und mir lieber nochmal den Unterschied zwischen privaten und staatlichen Krankenhäusern erzählt. Die beiden Mädchen, vielleicht 17, 18 Jahre alt sind wirklich keine großen Rassisten, das nehme ich ihnen ab - schon gar nicht im internen Vergleich dieses Landes. Trotzdem weiß ich nicht, ob sie sich mit meinem Mitbewohner auch so nett unterhalten hätten, obwohl der eigentlich noch viel charmanter ist, als ich es bin.
„I like your accent“, kicherte mir die eine Kuli-Verkäuferin zum Schluss noch entgegen. „I don’t like your attitude“, dachte ich für mich, aber um es auch auszusprechen, war ich mir nicht sicher genug, ob sie denn wirklich auch versteht, was sie da in Erwartung meines weißen Verständnisses für einen Unsinn erzählt. Beim nächsten Blick in den Briefkasten fand ich dann sogar noch einen Zettel mit Telefonnummer und dem Wunsch, mich besser kennenzulernen. Seitdem weiß ich, dass vrek oulik auf Afrikaans irgendwas wie „süß“ heißt. Ich finde das auch süß. Vielleicht sollte ich ja zusagen. Es gäbe so viel zu erzählen.

Zum Beispiel, dass Südafrika in der ganzen Versöhnungs- und Vereinigungssoße, die seit Jahren wie ein dicker Ölfilm über dem Land liegt, in falschen Umarmungen erstickt, während unterm Deckel die alten Ressentiments weiterköcheln. Wahre Verständigung sieht anders aus, als das Jugendliche heute nicht einmal mehr wissen, wann die Apartheid endete, geschweige denn, worum es ging. Und ohne dieses Wissen kann es auch keine vernünftige Meinungsbildung zu den aktuellen Themen geben. Das Gesundheitssystem ist da natürlich nur ein Brennpunkt, aber ein wichtiger. Natürlich könnte die Versorgung hier viel besser sein. Wenn mehr Menschen Zugang zu Bildung, Arbeit und gesunder Ernährung hätten und darüber hinaus noch in vernünftigen Häusern wohnen würden, anstatt abends halb im Rauch- und Paraffin-Gestank provisorischer Öfen zu ersticken und nachts trotzdem unter durch löchrige Blechdächer nassgeregneten Decken halb zu erfrieren. Wenn dazu die Arm-Reich-Schere ein bisschen weniger offen wäre. Und wenn die Unsummen, die alljährlich in private Krankenversorgung fließen, in einer solidarischen Krankenversicherung gemeinsam mit den spärlichen Mitteln für die Unterklassen verwendet würden. Dann, ja dann und vermutlich auch nur dann, würde das Gesundheitssystem Südafrikas auch viel besser funktionieren und niemand müsste Kugelschreiber verkaufen, um Krebsoperationen zu finanzieren. Aber womit würde ich dann morgen meine Notizen machen…

PS: Dies ist übrigens ein Jubiläum, der hundertste Post. Wäre es mir eher aufgefallen, hätte ich was lustigeres geschrieben. Mal sehen, wann Piet oder Per mir mal wieder über den Weg läuft...

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