Dienstag, 13. April 2010

Nichts ist umsonst?



Südafrika ist eines der Länder mit dem weltweit höchsten Gefälle zwischen Arm und Reich. Die Townships, von denen jedes noch so kleine Städtchen außerhalb der ehemaligen Homelands für Schwarze mindestens eines hat, sind Beweis dafür. Doch auch hier bleibt die Zeit nicht stehen. Auf Recherchereise für eine Reportage in der jungen Welt habe ich mich Mitte März nach Soweto begeben, dorthin, wo mit dem blutig niedergeschossenen Schüleraufstand von 1976 der Anfang vom Ende der Apartheid eingeläutet wurde. 34 Jahre später hat sich vieles gewandelt, viele Häuschen sind schicker geworden, die Straßen sind meist akkurat und die Menschen leben in würdiger Freiheit. Arm sind die meisten aber immer noch, lediglich 23,7 Prozent haben einen mehr oder minder festen Arbeitsplatz und noch stärker als die Villenviertel in Diepkloof, dem reichsten Teil Sowetos, wachsen die Blechhüttensiedlungen an den Rändern der Township-Ansammlung mit 1,3 Millionen Einwohnern.

Krasser als hier in Johannesburg lässt sich die neue Finanz-Apartheid Südafrikas eigentlich kaum erleben. Die größte und finanzstärkste Finanzmetropole des afrikanischen Kontinents ist mit ihren jüngeren Sattelliten-Townships wie dem verslumten Orange Farm durch eine Straße verbunden, die völlig zu Recht Golden Highway heißt. Der Sand, der hier verbaut ist, stammt nämlich aus den Goldminen, die den Reichtum Johannesburgs begründet haben. Heute könnte man – modernen chemischen Methoden und einem hohen Goldpreis, der das Verfahren rentabel macht sei Dank – aus der Straße Gold gewinnen. Die Bewohner von Orange Farm haben von dem Reichtum freilich nichts. Wir treffen beim Besuch eines Selbsthilfeprojekts mit angeschlossenem Kindergarten auf eine Gruppe älterer, abgekämpft wirkender Männer. Sie waren Arbeiter in den Mangan-Minen der britischen BHP Biliton. Als sie vom Mangan vergiftet erkrankten, hat der Betrieb sie entlassen, um sich vor den Kosten der Behandlung und den Entschädigungszahlungen zu drücken. Das war 1996. Seitdem kämpfen die Männer um Gerechtigkeit, während immer mehr von ihnen durch das Gift in den Körpern dahingerafft werden.


Die ehemaligen Arbeiter vor dem Selbsthilfebüro.

Sogar dem Kindergarten droht inzwischen die Schließung. Denn Orange Farm wartet seit zehn Jahren darauf, dass die Versprechen der Stadtoberen, ihren Stadtteil mit einer Kanalisation und die Haushalte mit fließend Wasser zu versorgen. Das Projekt wird aber immer wieder abgebrochen. Da die Vorschriften für den Betrieb eines Kindergartens aber Toiletten mit Spülung und fließendes Wasser verlangen, steht die liebevoll aus dem Nichts aufgebaute Einrichtung für 85 Kinder aus der Umgebung vor dem aus.


Der Kindergarten des Itsoseng-Projekts. Itsoseng heißt soviel wie "Wach auf!", denn von außen hilft hier keiner.

Selbst wer wie Ashley, ein Freund meines Gastgebers in Johannesburg, das Glück hatte, von den reichen Städtern, für die seine Mutter als Haushälterin arbeitete, auf eine gute Privatschule geschickt worden zu sein, kämpft hier noch auf ziemlich verlorenen Posten. Für die über einstündige Minibus-Taxi-Fahrt von Palm Springs, seinem Heimat-Township, zur Arbeit im westlichen Zentrum Johannesburgs zahlt er monatlich 800 Rand. Für seinen Vollzeit-Job als Kassierer bei Woolworth bekommt er 2000 Rand. Da bleiben 120 Euro zum Leben. Und Ashley zählt sicherlich schon zur Township-Mittelschicht. Er hat Marketing studiert und mit Bachelor abgeschlossen. Er könnte auch einen besseren Job mit besserem Verdienst bekommen – allerdings nur in Kapstadt, wie er erzählt. Aber da will er nicht hin, die Mutter und die Familie halten ihn in Palm Springs.

Wer keinen Job hat, lebt am Existenzminimum. Als im Jahr 2000 auch noch die Strom- und Wasserversorgung teilprivatisiert worden und internationale Konzerne Gewinne mit den Armen machen wollten, erinnerten sich die Township-Bewohner rund um Johannesburg wieder ihres Kampfgeistes. Seitdem verknüpfen tausende flinke Hände fleißig abgeklemmte Stromkabel und verplombte Wasserleitungen neu. „Die sagen ‚Nothing for mahala‘, also nichts ist umsonst, doch das Wasser kommt von Gott“, ereifert sich Jabulani Molobela, einer der Aktivisten, der uns zeigt, wie das Wiederverbinden funktioniert und was der Wasserkrieg mit den Vorgärten in Soweto angerichtet hat: Sie liegen brach, kaum einer baut noch Gemüse vor dem Haus an, weil die Kontrolleure skeptisch werden könnten. Nach Schätzungen versickern bis zu zwei Drittel des nach Soweto gepumpten Wassers im Boden, weil das Leitungssystem hoffnungslos veraltet ist und niemand investieren will. Geht es nach dem halbstaatlichen Konzern Johannesburg Water sollen die Armen das Investitionsvolumen aufbringen, am besten gleich, indem sie ihr Wasser im Büro des Stadtteilbürgermeisters auf Prepaid-Basis kaufen. Das Schild der Wasserfirma ist – anders als das Namensschild des Quasi-Rathauses – das einzige an dem Gebäude, was noch gut lesbar ist.


Profit meets Politik

Doch die Zähler stehen still, kaum einer zahlt. Als eine Frau sich beim Wasserschleppen das Genick brach, haben sie geklagt, bis zum Obersten Gericht, und Recht bekommen. Die Grundversorgung mit Wasser ist in Südafrika ein Menschenrecht. Weil der Konzern die Umsetzung des Urteils mit sogenannten Tricklern, die den Wasserhahn nur tröpfeln lassen und dem Prepaid-System versucht zu unterwandern und weil alle Einsprüche und Protestmärsche erfolglos blieben, haben Jabulani und Co ihren pragmatischen Ansatz gewählt und zum Werkzeug gegriffen. Sie haben schließlich nicht mit ihrer Jugend für den Freiheitskampf bezahlt, um jetzt im Dunkeln zu verdursten, scheint das Gefühl zu sein. Und schließlich sei man noch nicht am Ziel. „Der Kampf geht weiter“, sagt Jabulani.

Die ganze Reportage gibt’s hier.

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