Montag, 20. Juli 2009

Mission Hummer



Ich habe einen neuen Grund, warum Südafrika – und trotz aller Gerüchte nicht Schweden – das schönste Land der Welt ist. Wer jetzt glaubt, dass Franz Beckenbauers Einschätzung, die Fußballnationalmannschaft Bafana Bafana sei ein WM-Favorit, dahinter steckt, liegt falsch. Der einzig wahre Grund ist, dass man hier auch im Winter herrlichen Sommerurlaub machen kann. Man muss nur von Port Elizabeth einen Tagesritt die Küste gen Nordosten fahren, mit Schlaglöchern übersäte Straßen überleben und nicht vergessen, abends den Sherry mit an den Strand zu nehmen – sonst ist es nämlich doch ganz schön kalt. All diese Tricks haben wir für eine Woche lang umgesetzt und tagsüber war es dann auch ohne Betäubungsmitteleinsatz sommerlich warm. Dazu wurde ich Zeuge einer immensen Verstrahlung, wie ich sie bisher selten bei einem Menschen erlebt habe. Doch der Reihe nach.
Los ging die Tour mit dem kulturellen Teil, in Grahamstown war nämlich gerade das Nationale Kunst- und Kultur-Festival, das größte Südafrikas übrigens. Und Grahamstown lag auf dem Weg, das bot sich fürs Urlaubs-Einstiegs-Wochenende also optimal an. Blöd nur, dass wir natürlich nix gebucht hatten und der Backpacker mit Horden von kulturgierigen Menschen überfüllt war. Weil Grahamstown in den Bergen liegt und derzeit mit kuscheligen Nachttemperaturen um die Gefriergrenze lockt, war das durchaus ein Problem. Weil aber gleichzeitig Festival war, konnte man diese Misslichkeit auch erstmal hinter ein paar Kaltgetränken verstecken, denn schließlich ist hier immer noch Afrika und da klappt immer alles irgendwie. Letztendlich haben wir also ziemlich zerschossen auf dem Zimmerfußboden einer Freundin genächtigt, die mit dem Kapstädter Orchester vor Ort war – und das, weil es so schön war, gleich für zwei Nächte. Der zweite Abend hielt dann noch einige ganz brauchbare Bands parat, darunter eine Ska-Kapelle deren circa 120 Kilogramm schwerer Sänger beim Umherspringen mit einem Bein durch die Spannholzplattenbühne gekracht ist. Nach kurzer Behandlungspause, um den Blutverlust wenigstens etwas einzudämmen, hat der Junge das Konzert trotzdem bravourös zu Ende gespielt und sich damit meiner Meinung nach für eine Death-Metal-Band empfohlen. Doch das nur am Rande.



Reisend ging es weiter nach Cintsa, wo wir einige Nächte hoch oben über einer Lagunenmündung residierten und tagsüber zu Fuß und per Kanu die Umgebung erkundeten. Am Ende unserer Paddeltour, die Hannah nicht zu Unrecht etwas an „Heart of Darkness“ erinnert hat, weil man so gar keinen Plan hatte, was hinter der Uferböschung kommt und dazu irgendwo Musik aus der Ferne erschallte, ereignete sich dann die obskurste Begegnung meines bisherigen Südafrikaaufenthalts. Während ich das Kanu routiniert wie immer mit kraftvollen Ruderschlägen gen Ufer trieb (Das ist noch nicht der Haupt-Witz.), brachte sich eine Schar von circa zehn Fotografen in Stellung, um uns massiv ins Visier zu nehmen. Nun war mein letztes Young-Chiefs-Spiel zwar tatsächlich erfolggekrönt, so ganz erklären konnten wir uns die Paparazzi-Brigade aber trotzdem nicht. Nachfragen half und siehe da, die jungen Damen und Herren waren Mitglieder eines US-amerikanischen Fotographie-Zirkels und zum Missionieren nach Afrika gekommen. Bilder von Hannah und mir im Boot im Sonnenuntergang sollen dann vermutlich bald dazu herhalten, Menschen das Christentum näher zu bringen. Eine phantastische Vorstellung für einen Menschen, dessen religiöseste Ausschweifung der eigene Vorname ist. Doch halten wir uns damit nicht auf, denn viel interessanter ist die Frage, welche Menschen die weit gereisten jungen Foto-Freunde mit ihrer Sicht der Welt beglücken wollen. In ländliche Regionen wolle ihre Gruppe morgen weiter reisen, sprudelt es aus der von uns inquisitorisch Ausgefragten heraus, in ein Dorf dorthin, wo es noch nicht einmal fließendes Wasser dafür aber, Achtung Zitat, „Stämme“ gibt. In ihren Augen erleuchtete förmlich das Bild des in Ledershorts und Holzsandalen mit Speer um ein Lagerfeuer hüpfenden Afrikaners, der gefangen in rückständiger, heidnischer Spiritualität nun endlich auf den richtigen Weg zum richtigen Gott gebracht werden muss. Wie das Dorf, in dem sie am Folgetag die Menschen bekehren wollte, hieß, wusste die Dame nicht, aber das ist ja vermutlich auch nicht so wichtig, da der Name wahrscheinlich eh irgendeiner Stammessprache entspringt. Hölle, wenn ich mir überlege, wie vielen Kindern man mit den Reisekosten dieser verblendeten Supermissionare die Schulausbildung finanzieren könnte, dreht sich mir der Magen um.







Wir sind am nächsten Tag nach Bulungula, einem kleinen Dorf in der Transkei weitergereist. Dort gibt es ein Backpacker, das zu 40 Prozent der Dorfgemeinschaft gehört. Aus deren Reihen kommen auch die Guides, die Kanutouren, Wanderungen mit dem Kräutersammler, Fischzüge oder Reitausflüge anbieten und sich so ihr täglich Brot verdienen. Die Initiatoren des Backpackers unterstützen außerdem die örtliche Schule und achten darauf, dass die Menschen im Dorf vom Tourismus aktiv profitieren. Das hat den genialen Nebeneffekt, dass kein Neid aufkommt, niemand bettelt und Kriminalität ein Fremdwort ist. Das alles an einem Stück traumhafter Küste und einem warmen Meer mit schier unglaublichen Hummervorkommen.







Da war ich wohl nicht zum letzen Mal. Der Link zum Backpacker lohnt sich übrigens.

Mittwoch, 10. Juni 2009

Wir komm’n jetzt im Fernsehen!



Da wir uns bei Masifunde ja nur höchstselten mit dem Zweiten abgeben, haben wir jetzt als erstes professionelles Fernsehteam auch direkt eines der ARD in Walmer Township begrüßen können. Ursprünglich wollte die dreiköpfige Crew unsere Programme ja nur an einem Sonntagnachmittag abfilmen, wir haben sie dann aber subversiv auf den Geschmack gebracht und für einen weiteren Drehnachmittag ins Jugendzentrum gelockt.



So haben die Kollegen vom Ersten, die übrigens für mich etwas überraschend aus einer rein südafrikanischen, dafür aber sehr witzigen Crew bestanden, am Montagnachmittag noch unseren Hausaufgabenclub und das Life-Skill-Programm „Learn4Life!“ gefilmt. Der Humor der Jungs lässt sich ungefähr dadurch verdeutlichen, dass sie ein Interview bei der Familie eines geförderten Jungen ganz rasant beginnen wollten, weil nebenbei der Fernseher lief und Südafrika gegen Polen gerade das 1:0 geschossen hatte. Eine Führung für Bafana Bafana, das ist eben schon ein historischer Moment, dessen Bestand meist nicht allzu lange vorhält. (Randnotiz: Die Mannschaft, deren Trainer Santana in einem Interview neulich äußerte, die WM gewinnen zu wollen und dafür den Kommentar kassierte, dass nicht viele im Land seinen Optimismus teilten, rettete das Tor aus der vierten Minute tatsächlich über die Zeit.)



Herrlich fand ich auch, dass der Kameramann im Hinblick auf den Beruf meiner Freundin (ab Januar Arzt) anmerkte, dass dann wenigstens einer von uns beiden einen ordentlichen Beruf hätte. Schön war’s, hoffen wir mal, dass es auch ein schöner Bericht wird.

Die Bilder und Interviews werden übrigens – wenn die Cutter-Schere es will – bereits am kommenden Sonntag ab 18 Uhr in der Sportschau zu begutachten sein, wo dann die neun Austragungsorte der WM im kommenden Jahr vorgestellt werden. Einschalten und Masifunde zum Tor des Monats wählen!



WICHTIGE ÄNDERUNG: Der Programmdirektor hatte was dagegen. Wir sind aus der Sportschau gestrichen, stattdessen lief der Beitrag bereits gestern im Mittagsmagazin. Die letzte Hoffnung: Am kommenden Montag, 15. Juni, sind wir noch einmal ab 22.45 im WDR in der Sendung Sport Inside zu sehen. Schluchz.

Dienstag, 9. Juni 2009

Nicht kultiviert aber „Sophie-Steak: Ate it.“

Die folgende Geschichte, der Vegetarier und zart Besaitete eventuell besser fern bleiben sollten, handelt von Sophie. Sophie ist ein Schaf. Besser gesagt war sie ein Schaf. Das da.

"Das da sieht doch niedlich aus."

Sophies Leben endete knapp dreißig Jahre nach der Geburt meines Freundes Ansgar, der an diesem Ableben nicht gänzlich unschuldig ist. Zu seinem Ehrentage wollte er seinen Gästen nach guter alter Tradition aus südafrikanischen Townships nämlich etwas Schafsfleisch servieren. Also wechselte Sophie den Besitzer und reiste im Kofferraum eines Golf I nach Walmer Township, Ansgars Hood, wie man es hier nennen würde. Man könnte also durchaus behaupten, es sei vom Golf geholt worden.

Was willst du mit dem Dolche, sprich!

Normalerweise finden Schlachtaktionen immer an einem mit Kuhhörnern besetzten Pfahl statt, der für ein Townshipgrundstück obligatorisch ist und den Schutz der Vorfahren auf die Hinterbliebenen lenkt. Da es sich bei Ansgars Fleischeslust allerdings nicht um eine Opferschlachtung handelte, riet Juice, ebenfalls ein Kumpel von uns, an eine andere Stelle des kleinen Hofs auszuweichen. Wer weiß, was die Ahnen sonst alles über uns ausgeschüttet hätten…

Du ahnst es nicht!

So passierte Sophies Rasierunfall dann auf der grünen Wiese unter den Wäscheleinen. Tapfer war die Dame, sagte keinen Mucks und auch kein Mäh. Während die Gedärme dann direkt in einen großen Eisentopf wanderten, um über einem wild zusammen gesammelten Feuer deliziös gegart zu werden, musste der geneigte Feinschmecker auf Sophies Muskelfleisch noch einen Tag warten. Direkt nach der Schlachtung schmeckt das nämlich angeblich nicht. Ich kann das so nicht bestätigen, denn als auf den beziehungsweise vom Leib geschneidertes Carpaccio schmeckt es unter Zugabe von etwas Salz auch ganz gut.

Da sagt man dann wohl rustikal zu.


So ein Schafsfell ist ja auch viel zu warm in Afrika.

Das Fell wurde übrigens auch nach Erlegung des Schafes nicht verteilt, sondern im Ganzen aufbewahrt. Liebend gern hätte ich es mit dem Auto zurück gebracht, quasi als Schafspelz im Golf, doch dazu kam es nicht. Unter dem strengen Duft einer sehr kleinteiligen aber dennoch zäh kämpfenden Sophie und der romantischen Atmosphäre eines wild flackernden Grillfeuers nahmen wir stattdessen Biss um Biss Abschied.

Tschüss Sophie!

Auch wenn Kartenspiele in Walmer Township eher weniger populär sind, haben die Menschen eine ausgesprochen starke Neigung zu Schafkopf. Am liebsten gekocht.

Nur falls mich jetzt jemand für die Sache an den Pranger stellen wollte: Ich wasche meine Hände in Unschuld!

Donnerstag, 28. Mai 2009

Welch dreiste Lüge...

... schließlich gibt es ja noch andere Wahlen. Sie, verehrte Leserschaft, dürfen statistisch gesehen daran in der Mehrzahl sogar teilnehmen. Selbst wenn der Enthusiasmus für die EU-Wahlen, um die es hier geht, in der Vergangenheit in Mitgliedsländerbevölkerungskreisen tendentiell geringer war, als bei Wahlen in Südafrika, hätte ich hier den Link zu meinem Artikel zu den Wahlthemen zu bieten.

PS: Warum schlägt mich eigentlich keiner dafür, dass es hier seit Ewigkeiten keine ordentlichen Geschichten aus Walmer gab? Ah ja, weil ich ein Township-Boy bin und alle Angst vor mir haben. Das leuchtet ein...

Dienstag, 26. Mai 2009

Neuer Lesestoff

Hier noch ein Artikel aus meiner Tagebuch-Kolumne in der Neuen Wernigeröder Zeitung. Versprochener Maßen ist das der letzte Akt zu den Wahlen...

Donnerstag, 21. Mai 2009

Plausible Argumentationen III

Es tut mir leid, ich habe immer noch keinen griffigeren Titel. Heute hätte ich aber auch "Was der Stammtisch noch wusste" über meinen Eintrag schreiben können.

Ich las nämlich gerade einen Kommentar von Egbert Niessler im Hamburger Abendblatt, der in seiner inhaltsleere schlicht phänomenal ist. Nach einer knappen Einführung ("Gewalttätige Neonazis, Linksextremisten, Islamisten - auf den ersten Blick völlig unterschiedliche Gruppierungen. Und trotz verschiedenster ideologischer Herkunft einigt sie eines: die bis zum Hass gesteigerte Unzufriedenheit mit dem demokratischen Rechtsstaat und seinen Grundwerten.") Widmet sich der Verfasser der Chronistenpflicht folgend kurz den Rechtsextremen und bezeichnet "sowohl Nazis als auch Kommunisten" als "erbärmlich gescheitert", macht Islamisten flux als Kämpfer für "eine weit hinter den Koran zurückfallende frühmittelalterliche Gesellschaft" aus, um sich etwas ausführlicher den Linksextremen zu widmen. Diese "gar nicht bildungsfernen Studenten von 1968" haben es sich seiner Erkenntnis nach nämlich vorzuwerfen, "mit Mao-Bildern und Bibeln durch die Straßen" gerannt zu seien und darüber hinaus "Trotzkisten-Gruppen" gebildet zu haben. Und weil Trotzki "eine schlimmere Diktatur als Lenin errichtet (hätte) - wenn er nur zum Zuge gekommen wäre", müsse es nach Ansicht des Verfassers "eine Aufgabe des staatlichen Repressionsapparates (sein), jene unter Kontrolle zu halten, ihnen keine Chance zu geben".

Eine völlig berechtigte Sichtweise, denn wo kämen wir denn hin, wenn Menschen auf einmal mit Bildern und Büchern durch Straßen rennen könnten und Gruppen gründen, die nach Menschen benannt sind, die eventuell Diktaturen hätten errichten können, wären sie nicht vorab im Auftrag von Diktatoren mit Eispickeln ermordet worden. Wie man merkt, ist daran nichts konstruiert. Vorsicht ist geboten. Am Ende treffen diese "Verblendeten" sich dann noch zu Hintergrundgesprächen mit der Presse. Solchem Demokratie feindlichen Wahnsinn muss natürlich mit der vollen Härte des "Repressionsapparates" (sic!) Einhalt geboten werden! Im Namen des Volkes und der Demokratie sowie zur Verteidigung unserer demokratischen Werte wie beispielsweise ... ähem, gleich hab ich's ... Meinungsfreiheit.

PS: Nur damit es nicht hinten runterfällt: Die komplette Gleichstellung von deutschem Faschismus und Kommunismus und die Bezeichnung der Verbrechen der Nazis als "erbärmlich gescheitert" verdient natürlich ebenfalls ein Sonderlob!

Wer den Link für die Nominierung zum Pulitzer-Preis braucht, hier ist er.

Samstag, 9. Mai 2009

Lesestoff

Ich hatte hier ja bereits vom Wahltag berichtet, hab jetzt aber auch noch eine größere Reportage geschrieben, die heute in der jungen Welt erschienen ist. Es geht um die Bedeutung des Wählens und einiges drumherum. Wer sich für Südafrika und speziell für mehr als Löwen, Strände und verkleidete Tänzer interessiert, findet hier den Link.